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In der Serie „Catching Up With…” spricht NHL.com/de regelmäßig mit ehemaligen NHL-Profis, die mittlerweile außerhalb von Nordamerika spielen oder sich vom aktiven Eishockey als Spieler zurückgezogen haben.

In dieser Ausgabe: Reinhard Divis

Reinhard Divis ist für das österreichische Eishockey ein Pionier. Er war der erste Österreicher, der in der NHL gespielt hat. Der Goalie absolvierte zwischen 2002 und 2006 für die St. Louis Blues 29 Spiele, darunter eine Partie in den Stanley Cup Playoffs. Im Gespräch mit NHL.com/de blickt der 50-Jährige Wiener auf dieses Kapitel zurück, spricht aber auch über das Torwart-Problem von Österreich.

Hallo Reinhard, Du warst der erste Österreicher, der in der NHL gespielt hat. Was bedeutet Dir das?

Das ist eine schwierige Frage, weil das immer leicht falsch rüberkommen kann. Natürlich erfüllt es mich mit Stolz, vor allem, weil ich mir damit einen Kindheitstraum erfüllt habe – nicht, weil ich der Erste war. Ob man der Erste, Zehnte oder Hundertste ist, spielt keine Rolle. In Ländern wie Schweden träumt jeder Spieler von der NHL – da fragt sich auch kein Kind, der wievielte er sein wird.

Wie ist dieser Traum überhaupt entstanden?

Ich bin sportlich aufgewachsen. Wir waren vier Brüder und haben alles Mögliche gemacht – Judo, Fußball, Eishockey. In der Pubertät musste ich mich dann entscheiden und habe mich für Eishockey entschieden. Es war ein Prozess. Ich war zuerst in Feldkirch, dann in Schweden, danach in Nordamerika. Es war nie so, dass ich als Kind gesagt hätte: „Ich werde NHL-Profi.“ Damals war das aus österreichischer Sicht noch völlig außer Reichweite. Das war damals in Deutschland oder in der Schweiz genauso. Niemand hätte gedacht, es in die NHL zu schaffen. Heute ist das völlig anders.

Du wurdest im Jahre 2000 in der 8. Runde an Position 261 von den St. Louis Blues gedraftet. Kam das für Dich überraschend?

Total. Ich spielte damals in Schweden für Leksand, hatte meinen Vertrag gerade verlängert. Zu dieser Zeit kam auch meine Tochter zur Welt. Ich wurde gedraftet und wusste gar nichts davon. Erst danach hat mich der Sportchef Jonas Bergqvist angerufen und gesagt: „Du bist gedraftet worden.“ Ich habe nur gefragt: „Von wem?“ So lief das damals.

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2001 bist du dann in die USA gegangen und hast zunächst in der AHL für die Worcester IceCats gespielt. Wie war das für Dich?

Das war der normale Werdegang. Wenn du als Europäer rüberkommst, ist den Amerikanern völlig egal, was du in Europa erreicht hast. So war das auch bei mir. Ich wusste genau, dass ich mich durchkämpfen muss. Das war keine Überraschung. Dazu kam, dass das damals genau mit dem 11. September zusammengefallen ist. Wir waren in Alaska im Trainingslager und hätten gegen die Sharks gespielt – doch alles wurde abgesagt. Wir konnten nicht fliegen, mussten über 2500 Kilometer mit dem Bus zurücklegen, weil kein Flugverkehr mehr möglich war. Somit gab es keine Vorbereitungsspiele, und alle, die im Vorjahr nicht fix im NHL-Kader standen, wurden in die Farmteams oder sogar in die East Coast Hockey League geschickt.

Dein erstes NHL-Spiel hattest Du am 7. April 2002 gegen die Colorado Avalanche, als du für 25 Minuten eingewechselt wurdest. Wie denkst Du daran zurück?

Das war im Nachhinein amüsant, aber zu dem Zeitpunkt war es alles andere als lustig. Es war ein Sonntag, ich weiß das genau, weil ich Freitag und Samstag mit dem Farmteam gespielt hatte. Ich war am Sonntag gerade beim Mittagessen, als der Anruf kam: „Reinhard, sofort zur Eishalle – du musst nach St. Louis fliegen.“ Ich bin also nach St. Louis geflogen, dort mit Polizeieskorte direkt zum Stadion gebracht worden, weil es schon knapp war. Ich kam etwa eineinhalb Stunden vor dem Spiel an. In Nordamerika ist es üblich, dass die Zeugwarte alles packen, aber bei mir war’s natürlich stressig – und meine Schoner waren nicht dabei!

Was war die Konsequenz?

Ich musste fremde Schoner nehmen, irgendwelche Ersatzteile. Dann sagte der Trainer plötzlich: „Reinhard, let’s go!“ – und ich steh dort mit fremden Schonern und denke mir: „Heute ist echt der falsche Tag um zu spielen.“ Aber ich kam dann tatsächlich rein, und das Gute war: Wir hatten eine absolute Topmannschaft. Obwohl Colorado damals viele Stars wie Peter Forsberg im Team hatte, lief es gut. Ich bekam nur fünf Schüsse auf das Tor und blieb ohne Gegentreffer.

Danach hattest Du weitere Einsätze, aber gerade 2003/04 war von Verletzungen geprägt, richtig?

Ja, genau. Die Saison hat gut angefangen, ich war im NHL-Kader, aber im zweiten Spiel habe ich mich schwer verletzt. Fast wäre das mein Karriereende gewesen. Ich war sechs Monate weg. Ich kam zurück, wieder Farmteam, wieder am Sprung nach oben, und dann habe ich mich wieder verletzt. Es war eine Seuchensaison mit Verletzungen, ständig Rückschläge.

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Wie war Dein Verhältnis zu Chris Osgood, der damals die Nummer 1?

Ich war da realistisch. Er war ein Top-Goalie, hat fünf Millionen US-Dollar verdient. Es war klar, dass es schwer wird, ihm den Platz streitig zu machen. Aber unser Verhältnis war super. Ob mit Osgood, Patrick Lalime oder Fred Brathwaite – das waren alles großartige Typen, sehr kollegial und unterstützend. Als ich eingewechselt wurde, gab es keinen Neid, gar nichts. Ich kann nur Positives über Osgood sagen. Er war vielleicht kein Spaßmacher wie Fleury, aber vom Charakter her genauso angesehen. Ich glaube, es gibt keinen Spieler, der je etwas Schlechtes über ihn gesagt hätte.

Du hast 2003/04 dann sogar ein Playoff-Spiel gemacht – gegen die Sharks. Ein besonderes Erlebnis?
Im Nachhinein ist es schön, dass man sagen kann, man hat ein Playoff-Spiel gehabt. Aber im Moment selbst ist es für einen Torhüter eher Anspannung als Freude. Du musst voll konzentriert sein, darfst keinen Fehler machen. Genießen kann man das nicht. Für mich war jedes Spiel gleich wichtig, egal ob Regular Season, Vorbereitung oder Playoffs. Vielleicht war ich deshalb später auch in Europa erfolgreich. Und das ist auch der Grund, warum ich heute nicht mehr hobbymäßig ins Tor gehe. Als Goalie kann man nie „halb“ spielen, du musst immer voll da sein, sonst siehst du schlecht aus.

Nach dem Lockout war St. Louis in der Saison 2005/06 nicht mehr so erfolgreich und belegte den letzten Platz im Westen. Wie war dieser sportliche Absturz zu erklären?

Das war ganz einfach: Als ich drüben war, gehörte St. Louis Bill Laurie, einem Mitglied der Walmart-Familie. Wir waren eine der teuersten Mannschaften der Liga, gemeinsam mit Detroit, Colorado und den Rangers. Wir hatten vier Spieler mit Gehältern um die zehn Millionen Dollar. Nach dem Lockout kam das neue Collective Bargaining Agreement mit Salary Cap. Dieser lag bei etwa 40 Millionen, wenn ich mich richtig erinnere. Dadurch brachen uns sämtliche Leistungsträger weg.

Warum hast Du Dich nach dieser Saison aus Nordamerika verabschiedet und bist nach Österreich zurückgekehrt?

Es gab noch Interessenten in der NHL. Aber ich wollte aus familiären Gründen zurück. Mein Sohn hatte schon mehrmals die Schule gewechselt, immer zwischen Deutsch und Englisch – das war schwierig für ihn. Und für mich kam ein weiteres Jahr in Nordamerika ohne Familie nicht infrage.

Wie schaust Du heute auf die NHL – besonders auf die österreichischen Spieler wie Marco Kasper und Marco Rossi?

Grundsätzlich verfolge ich die NHL schon, vor allem die St. Louis Blues und Spieler, die ich persönlich kenne. Ich kenne zum Beispiel die beiden Tkachuk-Brüder, weil sie damals mit meinem Sohn gespielt haben, und ich kenne ihren Vater Keith Tkachuk gut, weil ich mit ihm für die Blues aktiv war. Natürlich verfolge ich auch Marco Rossi und Marco Kasper. Beides sind sehr talentierte Burschen, die hervorragende Karrieren vor sich haben, wenn sie gesund bleiben.

Wie ist es allgemein um die österreichischen Torhüter bestellt?

Das ist ein schwieriges Thema. Wir haben leider ein Problem: Bei uns spielt momentan kein einziger Österreicher als Nummer-1-Torhüter. Das ist ein Symptom eines tieferliegenden Problems. Es beginnt schon im Nachwuchs. Über das Thema könnten wir zwei Stunden reden, aber im Kern wird im Nachwuchs einfach zu wenig für Torhüter gemacht. In der Folge haben wir auch bei den Profis Schwierigkeiten. Wenn du in Österreich nicht einmal Nummer 1 werden kannst, dann wirst du das in Deutschland, der Schweiz oder sonst wo auch nicht. Es gibt derzeit keinen einzigen österreichischen Goalie, der den Status einer klaren Nummer 1 in einer Profiliga hat. Das ist die Realität.

Was machst Du heute eigentlich beruflich?

Ich bin Immobilienmakler.

Wie kam es dazu?

Nach meiner Spielerkarriere war ich Trainer, habe auch die höchste Trainerlizenz in Österreich. Aber ich habe mich privat immer mehr für Immobilien interessiert. In Österreich ist die Ausbildung dafür sehr streng, fast wie eine Meisterprüfung. Die habe ich gemacht und mich dann entschieden, hauptberuflich als Makler zu arbeiten. Ich bin noch beim Nationalteam als Trainer aktiv, aber mein Hauptberuf sind die Immobilien.

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