Dave Tomlinson, Seattle Kraken

Dave Tomlinson hat als aktiver Spieler seine Fußspuren im deutschen Eishockey hinterlassen: Der Kanadier spielte insgesamt zehn Jahre in der DEL und wurde mit den Adlern Mannheim gleich viermal Deutscher Meister. Der ehemalige Stürmer hat aber auch eine NHL-Vergangenheit und kehrte nach seiner Spielerkarriere sofort dorthin zurück. Heute arbeitet der 53-Jährige als Experte für das Radio der Seattle Kraken. Im exklusiven Interview mit NHL.com/de sprach Tomlinson über seinen neuen Job, seine Zeit in Deutschland und die neue Welle an deutschen Profis in der NHL.

Experte im Radio
Tomlinson sitzt auf der Tribüne in der "Kraken Community Ice"-Halle, kurz KCI, die eine 15-minütige Autofahrt nördlich von Seattle entfernt liegt und sowohl als Trainingsfläche der Kraken als auch für das private Eislaufen genutzt werden kann. An diesem Morgen verfolgt er den Morning Skate der Kraken und sammelt dabei neue Erkenntnisse und Eindrücke von der Mannschaft, die er jeden Tag intensiv begleitet.
"Mein Job der eines Eishockey-Kommentators und -Analysten für das Radio bei allen Spielen der Kraken auf der Station 93.3 KJR. Man kann die Beiträge aber auch auf dem Kraken Audio Network im Internet anhören", erklärt Tomlinson. "Zusammen mit Everett Fitzhugh, der als Play-by-Play-Reporter im Einsatz ist, begleiten wir die Spiele mit einer Pre-Game- und Post-Game-Show. Everett verfolgt die Spielsituationen, erklärt wo der Puck ist, wo er herkam und wo er hingeht. Mein Job ist, zu beschreiben, warum gewisse Dinge auf dem Eis passieren. Ich erkläre, warum ein Spieler dorthin geht, warum er dies oder das auf dem Eis macht und warum die Kraken immer wieder gewinnen."

Kraken Community

Der besondere Charme in Seattle
Tomlinson lacht bei diesem letzten Satz. Er ist bereits voll bei den Kraken angekommen. Seit der Debüt-Saison 2021/22 ist er am Mikrofon im Einsatz und hat das neue NHL-Franchise schnell kennen und lieben gelernt.
"Schon bevor sie überhaupt eine Mannschaft hatten, wollte Seattle inklusiv sein, die Dinge anders anpacken und vielen verschiedenen Menschen Möglichkeiten geben. Mir hat das gefallen", sagt Tomlinson. "Ich komme aus Vancouver und habe lange in Deutschland gelebt. Das sind sehr internationale Orte. Mir hat auch gefallen, direkt ein Teil von etwas Neuem zu sein. Das konnte ich nicht ablehnen. Mir gefällt, wie sie bei den Kraken so viele unterschiedliche Dinge in ihr Konzept integrieren, die Stadt, die Arena und sie können die Menschen, die hier leben, für ihre Idee begeistern. Die Zuschauer, die hierherkommen, fühlen sich, als wären sie ein Teil hiervon."

Kraken Community Ice

Traumberuf Eishockey: "Es fühlt sich für mich nicht nach Arbeit an"
Tomlinson selbst ist ein Teil einer großen Broadcasting-Crew, zu der übrigens auch Eddie Olczyk als wohl bekanntestes Gesicht zählt. Sowohl die TV- als auch Radio-Journalisten begleiten die Mannschaft zu allen 82 Partien, sind also sowohl bei Heim- als auch bei Auswärtsspielen live dabei, fliegen im selben Flugzeug, begleiten Trainingseinheiten und eben Morning Skates. Für Tomlinson ist das ein echter Traumjob.
"Schon als Kind wollte ich immer mit Hockey mein Geld verdienen, Hockey spielen und über Hockey reden", erklärt der 53-jährige Kanadier. "Bislang ist mir das ganz gut gelungen. Ich hatte eine lange Profi-Karriere, darunter zehn Jahre in Deutschland, und dann hatte ich die Idee, dass ich in Übertragungen einsteige. Als Kommentator zu arbeiten passt perfekt zu mir, weil ich das Spiel immer noch als Spieler sehe und erklären kann, was in den einzelnen Situationen passiert und was sich die Spieler dabei denken. Es fühlt sich für mich nicht wie Arbeit an, aber sie bezahlen mich dafür, und ich liebe es!"

Morning Skates

Respekt für die Spieler
Die ersten Kraken-Spieler gehen vom Eis. Tomlinson und seine Kollegen erheben sich von ihrem reservierten Platz auf der kleinen Tribüne, steigen die Treppen hinunter bis zum Eis-Level und machen sich ebenfalls auf den Weg zur Kabine. Tomlinson erspäht einen Puck, auf dem Boden und reicht diesen als Geschenk gleich weiter an einen Journalisten von außerhalb. Vor der Kabine wird kurz gestoppt. Philipp Grubauer, der deutsche Torwart und Stanley Cup Sieger, kommt ums Eck gebogen. Die breiten Schiebetüren mit dem "S"-förmigen Kraken-Logo geben den Weg frei. An den eisblauen Wänden werden zunächst die Schläger abgestellt, denn geht es zum Umziehen in die Kabine. Für Tomlinson beginnt nun die Arbeit. Er unterhält sich mit Spielern und Trainern.
"Ich bin ziemlich eng am Team dran. Ich denke aber noch wie ein Spieler und lasse sie gerade auf Roadtrips auch mal alleine und sie ihr Ding machen. Es gibt aber immer Möglichkeiten, mit ihnen zu sprechen oder mal einen Kaffee zu trinken. Ich gebe ihnen ihren Freiraum und behandle sie mit Respekt. Man redet nicht nur über Eishockey, sondern auch über andere Dinge. Ich kenne auch viele Väter von den aktuellen Spielern, mit Robert Burakovsky, dem Vater von Andre Burakovsky, hat damals in Kassel gespielt, die wir in meinem ersten Jahr in Mannheim im Finale geschlagen haben."

NSH@SEA: Burakovsky erzielt sein 4. Saisontor im 1.

Zehn Jahre in Deutschland: Kaffee und Kuchen als Exportschlager
Tomlinson wurde in Vancouver geboren und nie gedraftet. Trotzdem entwickelte sich der ehemalige Stürmer zum NHL-Profi und verbrachte vier Jahre (1991 bis 1995) in der besten Liga der Welt. In insgesamt 42 Spielen für die Toronto Maple Leafs, Winnipeg Jets und Florida Panthers markierte der 1,80 Meter große Linksschütze vier Scorerpunkte (1-3-4).
Zur Saison 1996/97 wechselte Tomlinson dann in die DEL, wo er insgesamt zehn Jahre verbringen sollte. Die ersten sechs davon bei den Adlern Mannheim, mit denen er in dieser Zeit viermal Deutscher Meister wurde.
"Ich habe gleich in meinem ersten Jahr so viele tolle Menschen kennenlernen dürfen, auch außerhalb des Eishockeys, wie meinen Freund Klaus und meinen Freund Christian, zu denen ich bis heute Kontakt halte. Ich komme auch nach wie vor im Sommer nach Mannheim. Was mir dort so gefallen hat, war, dass es eine kleinere Stadt war, in der man schnell mit den Leuten ins Gespräch gekommen ist", blickt Tomlinson zurück.
"Vor meiner Zeit in Deutschland habe ich kaum Kaffee getrunken. Dann habe ich begriffen, wie schön und wichtig 'Kaffee und Kuchen' ist, zusammenzusitzen und sich mit Freunden über die Themen des Tages zu unterhalten. Bis heute gibt es bei mir jeden Tag um 15:30 Uhr 'Kaffee und Kuchen'. Das erinnert mich an meine Zeit in Deutschland, wo ich mich sehr willkommen gefühlt habe. Ich habe tolle Erinnerungen. Auch meine Tochter wurde in Mannheim geboren."

CBJ@SEA: Tolvanen im dritten Spielabschnitt

Krefeld, Vancouver, Seattle
Es folgten Stationen bei den Nürnberg Ice Tigers, Hamburg Freezers sowie ein kurzer Abstecher in die Schweiz (EV Zug, NLA; HC Martigny, NLB). Schließlich beendete Tomlinson im Jahr 2006 bei den Krefeld Pinguinen seine Karriere als aktiver Spieler.
"Nach meiner letzten DEL-Saison bin ich zurück in meine Heimat nach Vancouver gegangen. Es gab dort eine Radiostation, welche die Spiele der Canucks übertragen hat. Ich bin dort einfach mal aufgetaucht und habe gefragt, ob sie mich dort gebrauchen können. Sie haben ja gesagt, also ging es los. 2010/11 haben wir es sogar ins Stanley Cup Finale geschafft, was natürlich nur mir zur verdanken war", lacht Tomlinson augenzwinkernd. "Nach ein paar Jahren gab es dann einen Wechsel zu einem anderen Radiosender, also war ich dort erstmal raus. Als ich hörte, dass Seattle ein Eishockey-Team bekommt, bin ich sofort mit den Kraken in Kontakt getreten. Sie haben gesagt, dass das gut passen würde. Also bin ich da runtergefahren. Und so ging es weiter."
Die nächste Welle: Deutsche Talente erobern die NHL
Die Verbindung nach Deutschland ist nie abgerissen. "Ich verfolge die Liga noch heute und schaue, wer gerade gut spielt. Mannheim verfolge ich zudem gezielt über das Internet. Ich bin also auf dem Laufenden", sagt Tomlinson und muss lachen: "Ich warte noch auf den Tag, an dem sie mein Trikot unters Hallendach ziehen. Das wird wohl nie passieren, obwohl ich es immer wieder erwähne."
Das deutsche Eishockey sieht der Experte auf einem guten Weg. "Deutschland ist Teil der Eishockey-Welt, in den du gehen musst, um Top-Spieler zu finden", so Tomlinson. "Ich genieße das Tempo und die Fähigkeiten, die die Deutschen in die NHL bringen. Das ist der moderne Hockey-Spieler. Zu meiner Zeit musste man vor allem groß, schwer und böse sein. Entweder bis du ein Superstar oder ein Typ wie jeder andere. Das hat sich geändert: Du hast Spieler in jeder Reihe, die skaten und mit dem Puck umgehen können. Wenn man sich nur Tim Stutzle anschaut, der einen unermüdlichen Motor eingebaut und die ganze Zeit den Kopf oben, einen wunderbaren Schuss hat und sehr clever spielt. JJ Peterka in Buffalo auch. Das ist die nächste Welle von deutschen Spielern in der NHL und sie passen dort super rein, weil sie gute Skater sind und starke Plays machen können."

SEA@BUF: Grubauers starker Abend

Philipp Grubauer, der deutsche Cowboy
Einen Deutschland-Export sieht Tomlinson seit zwei Jahren jeden Tag beim Training oder beim Spiel: Philipp Grubauer.
"Ich nenne ihn den 'Deutschen Cowboy', weil er Pferde auf einer Ranch hat und das zu seinem Lifestyle gehört", grinst Tomlinson. "Mir gefällt es, mich mit ihm zu unterhalten. Er ist eine durchdachte Person, er sagt nicht viel, aber wenn, dann hat es auch eine Bedeutung. Er war richtig gut für dieses Team. Ich glaube auch, dass es das richtige Team für ihn ist. In der letzten Saison lief es für alle nicht so gut. Dieses Jahr hat er nach seiner Verletzung wieder wichtige Saves gezeigt und die Fans lieben es 'Gruuuu!' zu rufen, wenn er einen wichtigen Schuss entschärft. Hier in Seattle ist er einer der Publikumslieblinge. Er hat hart dafür gearbeitet, jetzt hier zu sein."
Nach einer Verletzung muss Grubauer seinen Status als Nummer 1 gegen den in der Zwischenzeit erstarkten Martin Jones zurückerobern. Tomlinson glaubt, dass der Rosenheimer dabei gute Karten hat und erklärt, warum: "Sein Stil gefällt mir. Er verlässt sich auf seinen Instinkt, liest die Spielzüge der Gegner und ist athletisch genug von einer Seite auf die andere zu kommen, um diese wichtigen Saves zu zeigen. Er war auch nach seiner Verletzung nicht wackelig, sondern hat sofort wieder gezeigt, was er kann. Eine seiner positiven Attribute ist auch, dass er im Tor richtig kämpft und arbeitet. Er wirft alles rein, um eine Parade zu schaffen. Manchmal kann er gar nicht rechtzeitig da sein, er schafft es aber trotzdem. Es macht Spaß, ihm zuzuschauen."
Eine Liebeserklärung
Die Interviews in der Kraken-Kabine sind beendet, die Spieler unter der Dusche und auch Tomlinson macht sich auf den Weg nach Hause. Nun hat ein paar Stunden frei, ehe am Abend der Hauptteil seiner Arbeit beginnt: Seattle spielt in der imposanten Climate Pledge Arena gegen den amtierenden Stanley Cup Champion, die Colorado Avalanche.
Tomlinsons Vorfreude ist spürbar, was alleine seine leuchtenden Augen verraten. Es dauert nicht lange, ehe eine dazu passende Erklärung aus ihm heraussprudelt: "Für mich ist es einer der besten Berufe auf der Welt: Erst ein Eishockey-Spieler und dann ein Hockey-Kommentator zu sein - besser geht es nicht! Das ist meine NHL und ich genieße jeden einzelnen Tag hier. Ich freue mich auf jedes Spiel und was es an neuen Erkenntnissen zu Tage fördert. Es können so viele Dinge passieren. Ich liebe es!"