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Für Andi Gerg hat die Saison 2022/23 längst begonnen: Der 32-Jährige ist Fitness-Trainer bei den Nürnberg Ice Tigers und legt bereits seit Wochen die Grundlagen bei den Spielern für die Mitte September beginnende Hauptrunde. Mit NHL.com/de hat der gebürtige Münchner über die Bedeutung von Urlaub, Ernährung und sogar Schlaf im Leben eines Eishockey-Spielers gesprochen.

Füße hochlegen in der Sommerpause?
Aus der Ferne sieht das Leben eines Eishockey-Spielers in der Sommerpause eigentlich ganz entspannt aus: Der Spielbetrieb findet in der DEL zwischen September und April, in der NHL zwischen Oktober und Juni statt. Doch insbesondere in den drei bis vier Monaten dazwischen wird extrem hart gearbeitet.
"Füße hochlegen gibt es im Eishockey vielleicht zwei bis drei Wochen. Das ist der normale Rahmen für einen Leistungssportler. Und selbst in diesem Zeitraum empfehle ich Ausgleichssportarten wie Schwimmen, Tennis oder Golf", erklärt Gerg. "Eine gewisse Pause zur Regeneration ist wichtig, diese darf aber nicht zu lang sein, damit die Spieler im Rhythmus bleiben, es zu unmittelbaren und positiven Anpassungserscheinungen kommt, wenn man nach zwei, drei Wochen wieder hochfährt."
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Im Sommer verflucht, in den Playoffs geschätzt
Für Gerg selbst fängt die Arbeit bereits mit dem Abschluss der Vorsaison an. "Ich gehe in die Nachbereitung, schreibe Trainings- und Regenerationspläne. In diesem Jahr habe ich sogar ganze Broschüren zum Thema Ernährung verfasst, mit Rezepten zum Nachkochen und sogar Einkaufslisten. Es schadet nicht, wenn die Spieler wissen, welche Proteine und Kohlenhydrate für sie wichtig sind", so Gerg.

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Zusätzlich wertet er die Fitness-Werte der Spieler aus. Bei Ausdauer- (verpflichtend) und Kraft-Einheiten (freiwillig) werden Daten mit einem Pulsgurt aufgezeichnet. "Ich kann sehen, wer wann und wie trainiert hat. Die Fitness ist die Basis und der unterste Teil der Pyramide, selbst die oberen Teile wie etwa die Skills bauen darauf auf. Eishockey ist eine Sportart, die von Schnellkraft geprägt ist: Es gibt viele explosive Antritte und Richtungswechsel. Ich betrachte aber auch jeden Spieler individuell. Eher dünne Typen brauchen längere Muskelaufbau-Phasen. Bei schwereren und größeren Athleten kann man den Fokus mehr auf das Kraftausdauer-Training legen", verrät Gerg. "Ich gebe dann Feedback und bleibe per Telefon oder Video-Calls in Kontakt mit den Spielern. Diese Überwachung ist natürlich eine Gratwanderung, aber auch die Spieler wissen: Je größer das Leistungsniveau im Sommer ist, desto mehr Luft haben sie hintenraus in der Saison und auch in den Playoffs. Wir Athletik-Trainer werden also im Sommer verflucht, später aber sind die Spieler froh darüber und wissen unsere Arbeit sehr zu schätzen."
Verletzungen verhindern, bevor sie passieren
Die schweißtreibende Arbeit im Sommer dient aber nicht nur der Schnellkraft und der Luft, sondern auch der Verletzungsprävention. "Verletzungen zu verhindern, bevor sie überhaupt passieren, ist mitunter unsere wichtigste Aufgabe", sagt Gerg. "Im Eishockey ist es natürlich ein wenig schwieriger, weil es eine Vollkontaktsportart ist und statistisch gesehen die meisten Verletzungen durch Kontakt mit der Bande oder dem Gegner zu Stande kommen. Daher ist es wichtig, dass die Spieler viel Muskelmasse und eine gute Maximalkraft haben, denn beides sorgt für Robustheit, was eine wichtige Voraussetzung ist, um etwa Schulter-, Adduktoren- oder Leistenverletzungen zu vermeiden."

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Sogar gegen Kopf- und Nackenverletzungen und damit verbundene Gehirnerschütterungen kann mit entsprechendem Training ein Stück weit vorgebeugt werden. "Man kann die Schulter- und Nackenmuskulatur und den Schultergürtel gut vorbereiten", empfiehlt Gerg.
Ernährung ist essenziell, aber auch ein Eis ist möglich
Doch "nur" mit Kraft- und Ausdauertraining ist es für einen Eishockey-Profi nicht getan. "Das A und O ist die Ernährung, denn sie ist der Kraftstoff für den Motor", betont Gerg. "Je besser das Benzin ist, desto besser kann der Körper arbeiten. Eine perfekte Mahlzeit für einen Eishockey-Spieler sollte daher eine gute Protein-Quelle enthalten, mit einer Kohlenhydrat-Portion wie Reis oder Nudeln und Gemüse in Regenbogenfarben, je bunter, desto besser. Beim Krafttraining sollte der Protein-Anteil, bei Ausdauertraining der Kohlenhydrat-Anteil höher sein."

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Asketisch aber müssen auch Eishockeyspieler nicht leben. "Man sollte nicht alles verbieten, denn auch der Kopf spielt eine wichtige Rolle", unterstreicht Gerg. "Jetzt im Sommer ist auch mal ein Eis oder ein alkoholisches Kaltgetränk möglich. Ein einfaches Rezept ist die 80-20-Regel: 80 Prozent der Nahrung muss wirklich gesund sein, 20 Prozent dürfen sich die Spieler auch mal etwas gönnen."
Schlaf als "wichtigste Regenerationsmethode"
Ebenfalls eine große Rolle spielt der Schlaf. "Er ist die effektivste Regenerationsmethode", bestätigt auch Gerg. "Die Leistungsfähigkeit nimmt ab, wenn man nur sechs oder sieben Stunden schläft. Schlechter Schlaf führt auch dazu, dass Nährstoffe schlechter aufgenommen werden. Acht bis neun Stunden Schlaf wären ideal. Man kann allerdings auch zu viel Schlafen: Über zehn Stunden sind nicht zu empfehlen, weil dann der Bio-Rhythmus aus dem Gleichgewicht kommt und man sogar müder sein kann als bei einem kürzeren Schlaf."

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Zahlreiche NHL-Spieler, darunter auch Top-Talent Tim Stutzle oder Stanley Cup Champion Nico Sturm, schwören auf einen Pre-Game-Nap. "Beim Training am Vormittag fährt der Organismus hoch. Kommt am Mittag dann ein kleines Tief, kann man ein bisschen mit einem Power-Nap entgegenwirken. Dieser sollte aber nicht länger als 20 oder 30 Minuten sein, um nicht in eine Tiefschlafphase zu rutschen", so Gerg. "Der Körper und die Psyche entspannen und man ist nach dem Aufstehen wieder frisch und bereit für das Spiel am Abend."
Auch wenn in der NHL aktuell nicht gespielt wird, so wird hinter den Kulissen längst für die neue Saison 2022/23 geschwitzt. Der Grundstein für den Stanley Cup Sieg 2023 wird also bereits jetzt im Sommer gelegt.