Jagr prägte den Sport wie kaum ein anderer
Die tschechische Legende wird womöglich nie wieder in der NHL antreten, doch sein Einfluss bleibt ungemindert
von Alexander Gammel / NHL.com/de Autor
Am Montag setzte es einen Paukenschlag, als die Calgary Flames bekanntgaben, dass Jaromir Jagr nicht mehr in der NHL antreten, sondern für seinen Heimatverein, den HC Kladno, in der zweiten tschechischen Liga auflaufen würde. Der 45-jährige Tscheche ist wohl einer der bekanntesten Namen der Eishockegeschichte und einer der wenigen, die mit Spielern wie Wayne Gretzky, Mario Lemieux, Gordie Howe und Maurice Richard verglichen werden dürfen.
Ist dies nun endgültig das Ende seiner NHL-Laufbahn, das Ende einer Legende, ja einer ganzen Ära in der besten Liga der Welt? Abschließend lässt sich diese Frage noch nicht beantworten, denn es ist nicht das erste Mal, dass das Ende seiner Karriere vermutet wurde. 2008 nahm er erstmals seinen Abschied aus der Liga und stellte sich drei Spielzeiten lang in die Dienste von Avangard Omsk in der russischen KHL. Dort verzeichnete er in 155 Spielen 66 Tore und 145 Punkte.
Nach seinem Aufenthalt in Russland kehrte Jagr 2011 jedoch wieder zurück nach Nordamerika und spielte die nächsten Jahre für die Philadelphia Flyers, Dallas Stars, Boston Bruins, New Jersey Devils und Florida Panthers. Im vergangenen Sommer standen erneut Fragezeichen hinter dem Superstar. Die Panthers verlängerten seinen Vertrag nicht und auch von anderen Teams kamen keine Angebote. Jagr war bereits wieder in seiner Heimat, um für Kladno anzutreten, seinen Ausbildungsverein, dessen Eigentümer er auch ist.
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Doch die Calgary Flames wollten den Marathonmann in ihren Reihen haben und so wechselte er erneut auf die andere Seite des Atlantik. Trotz seiner Hartnäckigkeit könnte dieses Mal aber tatsächlich sein letzter Einsatz in der NHL hinter ihm liegen. Jagr wird am 15. Februar 46 und litt diese Saison unter einer hartnäckigen Verletzung. Doch auch wenn er seine Karriere in der NHL nicht fortsetzt, hat er nicht nur die Liga sondern den gesamten Sport geprägt, wie kaum ein anderer Akteur.
In 1921 Spielen sammelte Jagr 766 Tore und 1921 Punkte, alleine damit steht er schon im Olymp des Eishockeys. Nur Wayne Gretzky erzielte mehr Punkte, nur Gretzky und Gordie Howe liegen nach Toren vor ihm. Er liegt in beinahe jeder Statistik unter den besten zehn Spielern der hundertjährigen NHL-Geschichte, sowohl was die reguläre Saison, als auch die Playoffs angeht.
Die unglaubliche Erfolgsgeschichte, die aus einem Film stammen könnte, den man als übertrieben und realitätsfern abtun würde, begann 1975 in Böhmen, als der kleine Jaromir im Alter von nur drei Jahren erstmals auf Kufen stand. Nur zwei Jahre später fing er an, gefördert von seinem Vater Jaromir Senior, ein strenges Trainingsprogramm zu verfolgen und im Nachwuchs von Kladno zu spielen. Schnell war klar, dass das Wunderkind gegen gleichaltrige Spieler geradezu lächerlich unterfordert war. Daher drängte der ältere Jaromir darauf, dass sein Sohn gegen Kinder antritt, die bis zu vier Jahre älter waren.
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"Das war die Idee meines Vaters", erinnerte sich der Superstar in einem Interview 1992. "Wenn ich gegen andere Sechsjährige spielte, war ich überragend. Wenn ich gegen Zehnjährige spielte, war ich durchschnittlich. Er wollte, dass ich da spiele, wo ich durchschnittlich bin."
Bereits mit zwölf Jahren trat er für den Nachwuchs des HC Kladno in der Altersklasse bis 18 Jahren an. Ab 1988 spielte er in Herrenmannschaft der höchsten tschechoslowakischen Spielklasse und mit 18 Jahren wurde er von den Pittsburgh Penguins in der ersten Runde des NHL Draft (Pick Nummer fünf) nach Übersee berufen. Sie waren auf ihn aufmerksam geworden, als er bei der Junioren-WM fünf Tore und 18 Assists in sieben Spielen erzielt hatte.
Bereits in seinen ersten beiden Spielzeiten erwies er sich als außergewöhnliches Talent und führte die Penguins gemeinsam mit seinem Idol Mario Lemieux zweimal in Folge zum Stanley Cup. Es folgten unzählige Erfolge und Trophäen, darunter auch Gold bei den Olympischen Spielen 1998 in Nagano und zwei Titel bei der Weltmeisterschaft. Damit ist er einer von nur 27 Spielern im IIHF Triple Gold Club.
Jagr ist aber nicht nur als grandioser Techniker, Torjäger und Vorbereiter bekannt, der den Puck halten und kontrollieren kann, wie kaum ein anderer, ihm eilt auch ein Ruf als extrem harter Arbeiter voraus. Immer wieder hörte man in den letzten drei Jahrzehnten von seinen Mitspielern und Trainern, dass er meist der erste beim Training ist und der letzte der die Halle verlässt. Teilweise wurde er noch nach Mitternacht im Fitnessraum gesehen. Das ist sicherlich eine Erklärung warum Jagr in seinem Alter noch spielen kann.
Eine weitere große Qualität Jagrs ist sein Umgang mit den Teamkollegen, den Anhängern und den Medien. Selten wird ein Spieler von allen Fans, unabhängig davon, welchen Verein sie unterstützen, so sehr geliebt wie Jagr. Spieler schwärmten stets von ihren Erlebnissen abseits der Eisfläche mit ihm. Durch Zeitungen und Fernsehsendungen gingen ständig seine Scherze und Streiche mit den Kollegen und sein enger Kontakt zu den Fans. Und die Trainer lobten ausnahmslos seine professionelle Einstellung, seinen Einsatz und seine Führungsqualitäten.
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Mit dieser Kombination aus Spielfreude, Talent und seiner sympathischen und einnehmenden Art verhalf er dem Eishockey nicht nur in Tschechien, sondern weltweit zu mehr Bekanntheit und wurde für unzählige Nachwuchsspieler zum großen Idol. Auch viele Athleten, die in der NHL in jungen Jahren mit Jagr auf dem Eis standen, wie ein Claude Giroux und Jakub Voracek, oder ein Aleksander Barkov und Jonathan Huberdeau, bezeichnen ihn als Mentor.
Jagrs Statistiken alleine würden bereits eine Aufnahme in die Hockey Hall of Fame rechtfertigen. Doch er ist nicht nur ein grandioser Spieler, sondern auch ein grandioser Mensch, dessen Verdienste in der Liga und dem gesamten Sport weit über seine Rekorde hinausgehen und der das Eishockey und die Profis, die Fans heute bewundern, entscheidend geprägt hat.