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Ein Superstar besteht aus vielen Bausteinen

Gute Statistiken, Führungsqualitäten auf dem Eis und abseits davon, ein Stanley Cup - um ein Superstar zu sein, muss vieles zusammenkommen

von Christian Treptow @NHLde / NHL.com/de Freier Autor

NHL.com/de beleuchtet jeden Dienstag der regulären Saison 2019/20 aktuelle Trends in der Liga und Storylines. In dieser Ausgabe geht es um die Superstars der NHL.

Wer es in die NHL geschafft hat, kann sehr gut Eishockey spielen. Doch auch auf diesem von Natur aus äußerst hohen Niveau gibt es kleine Abstufungen. Manche Spieler sind einfach besser als andere. Sie sind die Stars. Und auch darüber gibt es noch Akteure: die Superstars. Doch was macht eigentlich einen Star zum Superstar?

Am einfachsten ist es, als ersten Anhaltspunkt die Statistik heranzuziehen - Tore, Vorlagen, Scorerpunkte, Plus/Minus-Statistik für die Feldspieler, Fangquote, Anzahl der Shutouts für die Torhüter. Das macht die Liste der Anwärter schon mal etwas kürzer. Doch einfach nur 50 Tore oder 100 Punkte pro Saison anhäufen, reicht nicht. 

 

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Ein Superstar muss mehr sein, um sich diesen Titel zu verdienen. Man merkt es, wenn er das Eis betritt. Man spürt seine Ausstrahlung. Alles scheint ihm spielerisch leicht zu fallen. Auf engstem Raum trickst er meist mehrere Gegner aus. Ein Verteidiger reicht oft nicht, um ihn zu stoppen. Wayne Gretzky und Mario Lemieux fallen einem da spontan ein. Zwei Spieler, die sich zweifellos mit ihren Leistungen den Status eines Superstars erarbeitet haben. 

Doch ein Superstar ist auch mehr als "nur" ein Magier auf dem Eis in Kombination mit einer Scoringmaschine. Mit seinen Fähigkeiten macht er sein Team besser. Seine Mitspieler profitieren von seinem Können. Indem er Gegenspieler bindet, schafft er Freiräume für seine Teamkameraden. Auch deren Statistiken profitieren zwangsläufig davon, dass sie mit einem Superstar in einer Mannschaft spielen.

Allerdings: Viele Spieler haben in der NHL die Fähigkeit, ihre Mitspieler geschickt einzusetzen. Also ist auch das nur ein einzelner Baustein, der einen Superstar ausmacht. Was fehlt noch? Ein Superstar muss auch ein Anführer sein. Das gilt sowohl auf dem Eis als auch abseits davon. Seine Meinung ist respektiert und wird gehört. Seine Mitspieler vertrauen ihm und gehen mit ihm durch Dick und Dünn. Nicht selten ist er als Kapitän der für alle nach außen hin sichtbare Anführer der Mannschaft. Mark Messier und Steve Yzerman fallen in diese Kategorie. Auch sie zählten zweifelsohne zu den Superstars in der NHL.

Der Gewinn des Stanley Cups macht selbstverständlich einen Superstar ausmachen. Der Cup in Verbindung mit dem Ring, den die Spieler bekommen, komplettiert eine große Karriere. Nehmen wir als Beispiel Ray Bourque. Er war selbstverständlich einer der besten Verteidiger, die die NHL jemals hervorgebracht haben. Natürlich war er auch schon ein Star, als er noch im Trikot der Boston Bruins unglaubliche Statistiken ansammelte. Abgerundet wurde seine Karriere allerdings erst, als er mit den Colorado Avalanche den Stanley Cup gewann. Da das auch noch in besonders dramatischer Art und Weise geschah, darf man auch Bourque zu den Superstars zählen. Joe Thornton und Patrick Marleau (beide San Jose Sharks) warten noch sehnsüchtig darauf, dass sich ihr Traum vom Cup erfüllt. Stars sind sie. Aber Superstars?

Verteidiger haben es schwerer, in diese Kategorie vorzustoßen. Neben Bourque gehört auch Nicklas Lidstrom dazu. Paul Coffey und Chris Chelios darf man guten Gewissens auch erwähnen. Und bei den Torhütern? Sie haben es noch einen Deut schwerer. Natürlich gibt es Videos mit Aneinanderreihungen von Highlight-Saves. Doch solche Rettungstaten gehören mittlerweile zum Rüstzeug eines NHL-Torhüters. Im Zweifel muss ein Keeper in der Lage sein, sich in der vierten Verlängerung in den Playoffs immer noch so konzentrieren zu können, dass er bei doppelter Unterzahl sein Team im Spiel hält. Dominik Hasek, Martin Brodeur und Patrick Roy hatten diese Fähigkeit.

Doch das sind alles Namen der Vergangenheit. Wie sieht es in der Gegenwart aus? Nun, in Zeiten des Internets, in denen jede gelungene Aktion aufgrund eines ein paar Sekunden dauernden Videoclips gefeiert wird, wird der Begriff Superstar immer inflationärer gebraucht. Manchmal hat man den Eindruck, dass schon ein Tor reicht, bei dem ein Spieler für einen kurzen Moment seine überdurchschnittlichen Fähigkeiten zur Schau gestellt hat, um ihm den Status Superstar zu verleihen. Dann kommt noch ein cool klingender Spitzname dazu. Fertig! Aber: Ein Superstar im Internet ist noch lange kein Superstar in der NHL. 

Ein Superstar muss seine Fähigkeiten nachhaltig unter Beweis stellen. Das bedeutet: Eine starke Saison reicht nicht. Wer in den erlauchten Kreis der Superstars aufgenommen werden will, muss sich über Jahre hinweg auf allerhöchstem Niveau durchsetzen und im Idealfall auch einer Franchise seinen Stempel aufdrücken. Von den aktuellen Spielern verdienen sich Alex Ovechkin (Washington Capitals) und Sidney Crosby (Pittsburgh Penguins) diesen Status. Sie werden mit ziemlicher Sicherheit auch in die Hall of Fame aufgenommen werden, sobald sie ihre Karrieren beendet haben.

Und danach? Stars gibt es in der Tat viele. Fast jedes Team hat einen. Die Franchises, die es sich leisten können, haben sogar mehrere in ihren Reihen. Brad Marchand (Boston Bruins), Jack Eichel (Buffalo Sabres), Patrick Kane (Chicago Blackhawks), P.K. Subban (New Jersey Devils), Artemi Panarin (New York Rangers), Brent Burns (San Jose Sharks) und Auston Matthews (Toronto Maple Leafs) gehören in die - hier selbstverständlich nicht vollständig aufgeführte - Riege der Stars. Für den Status des Superstars fehlt ihnen aber noch ein bisschen was.

Es gibt die Spieler, die auf dem besten Weg sind, ein Superstar zu werden. Nathan MacKinnon (Colorado Avalanche), Connor McDavid und Leon Draisaitl (beide Edmonton Oilers) haben schon nachhaltig unter Beweis gestellt, was sie auf dem Eis können. In etwa zehn, 15 Jahren wird man sehen, ob sie dieses Versprechen eingelöst haben. Dann stellen sich solche Fragen: Haben sie einen Stanley Cup gewonnen? Waren sie echte Anführer? Sind sie immer mit gutem Beispiel vorangegangen? Haben sie sich immer vorbildlich und sportlich fair auf dem Eis verhalten? Und wie sehen die Statistiken aus?

Video: EDM@VAN: Draisaitl per Onetimer zu seinem zweiten PPG

Ja, aus deutscher Sicht ist Draisaitl ein Superstar. Das liegt daran, dass es in Deutschland noch keinen NHL-Spieler von diesem Format gab. Klar, Marco Sturm hat zuverlässig seine Tore geschossen, egal ob für San Jose oder Boston. Jochen Hecht und Marcel Goc haben bewiesen, dass sie zu Recht in die Kader ihrer diversen Arbeitgeber gehörten. Und Dennis Seidenberg kann immerhin einen Stanley Cup vorweisen. Stars waren sie für das deutsche Eishockey schon alleine deswegen, weil sie den schwierigen Sprung ins Haifischbecken NHL gewagt und überlebt haben. Doch Draisaitl legt dort Abend für Abend eine Dominanz an den Tag, wie es noch kein Deutscher vor ihm getan hat. Ähnlich verhält es sich auch bei den Schweizern Timo Meier (San Jose Sharks) und Roman Josi (Nashville Predators). Letzterer hat sich inzwischen so viel Respekt erarbeitet, dass er bei den Predators Kapitän ist.

Jack Hughes (New Jersey Devils) und Kaapo Kakko (New York Rangers), die beiden Top-Picks beim diesjährigen Draft, müssen sich den Fragen noch nicht stellen. Sie müssen mit einem ganz anderen Problem fertig werden: die großen Erwartungen, die mit ihnen verknüpft sind. Sie hatten das Etikett Superstar schon, bevor sie auch nur einen Wechsel in der NHL gefahren waren. Im Moment zeigen sie sporadisch ihr Talent. Allerdings wäre es auch unfair, von Teenagern zu erwarten, dass sie Teams alleine aus der Krise führen. Cale Makar (Colorado Avalanche) hat es da derzeit etwas einfacher. Bei seiner Mannschaft läuft es wesentlich besser. Allerdings: Er ist Verteidiger. Doch das muss auf dem Weg zum Superstar ja kein Hinderungsgrund sein.

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