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Wo würden Sie eine Franchise in der Tabelle einordnen, die bei den erzielten Toren pro Spiel (2,35) unter allen NHL-Teams den 25. und in der Western Conference den drittletzten Platz belegt, die im Westen die schlechteste Powerplayeffizienz (13,3%) vorweist und in dieser Kategorie ligaweit nur noch einen Konkurrenten hinter sich lässt? Wo müsste ein Team stehen, das in seiner Conference, die wenigsten Schüsse auf das gegnerische Tor bringen konnte (27,5), aber die viertmeisten (30,6) zuließ?

Wer würde einer Mannschaft zutrauen, dass sie, nachdem die Hälfte der Saison bereits bestritten ist, auf einen Wildcard-Platz für die Stanley Cup Playoffs spekulieren kann, obwohl ihr erfolgreichster Scorer mit 30 Scorerpunkten den 69. Platz in der Liga belegt, teamintern gefolgt von zwei 36-jährigen Stürmern, deren Saisonbestleistungen aus den Spielzeiten 2009/10 und 2010/11 stammen?
Die Vancouver Canucks können es! Wie machen die das nur?
Cheftrainer Willie Desjardins holt das Maximale aus dem ihm zur Verfügung stehenden Kader heraus. Seit der Weihnachtspause haben die Canucks sieben von elf Partien gewonnen und kassierten nur eine Niederlage in der regulären Spielzeit (7-1-3). Selbstverständlich kam ihnen zu Gute, dass sie siebenmal zuhause antreten durften, und sicherlich hatten sie auch das ein oder andere Mal das Glück auf ihrer Seite, wie bei ihrem letzten doppelten Punktgewinn am Dienstag gegen die Nashville Predators: Als im ersten Spielabschnitt noch fünf Minuten auf der Uhr standen, wurde beim Stande von 0-0 ein aus meiner Sicht regulärer Treffer der Gäste die Anerkennung verweigert. Der Schiedsrichter hatte die Situation abgepfiffen, obwohl Vancouvers Schlussmann Ryan Miller die Scheibe noch nicht unter Kontrolle hatte. Wer weiß welchen Verlauf das Spiel genommen hätte, wenn die Westkanadier früh in Rückstand geraten wären?

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Es findet sich bei den Canucks immer wieder ein Spieler, der es zum richtigen Zeitpunkt schafft, der Mannschaft einen Ruck zu geben. Im Spiel gegen Nashville war es der 22-jährige Verteidiger Nikita Tryamkin, der im Mittelabschnitt begann seine Statur von 2,00m und 120kg hart einzusetzen. Er setzte die ersten Zeichen, und über den Kampf fanden die Westkanadier ins Spiel. Das späte Siegtor von Henrik Sedin darf man dennoch als glücklich bezeichnen. Vancouvers Teamkapitän schoss von der Seite, fast auf Höhe der Torlinie, in die Mitte, wo Gästetorwart Pekka Rinne den Puck ins eigene Tor ablenkte.
Fortuna kommt den Canucks nicht einfach so zugeflogen, sie arbeiten hart dafür. Nehmen wir als Beispiel Bo Horvat, den im ersten Abschnitt erwähnten Topscorer. Der 21-jährige Stürmer hat sich gegenüber der Vorsaison enorm verbessert, und zwar nicht nur im Spiel nach vorne. Noch wichtiger ist es, dass sein Defensivverhalten gegenüber dem der Saison 2015/16, die er mit -30, dem schlechtesten +/-Wert aller Canucks, abschloss, nicht mehr wiederzuerkennen ist. Ein Sven Baertschi, 24, hat erkannt, dass Talent allein nicht genügt, um in der besten Eishockeyliga der Welt bestehen zu können. Der Schweizer ist mit elf Toren, 13 Assists und +4 in 43 Spielen auf dem Weg gleich drei Saisonbestmarken aufzustellen. Der 22-jährige Troy Stecher, der Ende Oktober in den Kader berufen wurde, nachdem sich Chris Tanev verletzt hatte, bekommt im Schnitt 20:47 Minuten Eiszeit und ist mittlerweile mit einem Tor und 13 Assists Vancouvers punktbester Verteidiger.
Nicht nur das Trainergespann bewirkt solche Leistungssteigerungen bei den jungen Spielern, es sind auch die langjährigen Führungsspieler im Kader, die ihren Anteil dazu beitragen. Ein Henrik und Daniel Sedin oder ein Alexandre Burrows punkten nicht mehr wie am Fließband, doch sie unterstützen ihre noch nicht so erfahrenen Teamkameraden, wo es nur geht. Tipps von einem Kollegen wie Henrik Sedin, der vor über 16 Jahren sein NHL-Debüt gab, und dem aktuell nur noch ein Zähler fehlt, um die 1000 Punkte voll zu machen, werden gerne angenommen und umgesetzt. Auch weil die jungen Mitspieler mitbekommen, dass Sedin seinen persönlichen Erfolg hinten anstellt. Die Predators nahmen in den Schlussminuten Rinne aus dem Kasten, Sedin forderte nicht, dass er aufs Eis dürfe, wodurch sich seine Chancen erhöht hätten, die Punktemarke zu knacken. Auf Nachfrage erwähnte der Schwede, dass der Fokus in dieser Phase des Spiels nicht darauf lag die 1000 zu erreichen. Sie konzentrierten sich voll und ganz darauf, dass hinten nichts mehr anbrennt und die null stehen bleibt. Diese Mission wurde erfüllt.
Obwohl Sedin sein 1000. Scorerpunkt nicht gelingen wollte, war es ein besonderer Abend für zwei Canucks: Schlussmann Ryan Miller kam zu seinem 353. NHL-Sieg und liegt nun in der All-time Liste der Liga, zusammen mit Evgeni Nabokov, auf dem 20. Platz. Für Desjardins war es der 100. Sieg als Verantwortlicher hinter der Bande (100-86-24).

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Am Freitagabend, wenn sich die Florida Panthers die Ehre in der Rogers Arena von Vancouver geben, hat Sedin die nächste Gelegenheit vor heimischer Kulisse zu punkten.
Wäre es nicht eine schöne Geschichte, wenn dem Center, als erstem Spieler in der Geschichte der Canucks, ausgerechnet gegen Schlussmann Roberto Luongo, seinem langjährigen Teamkameraden, seinem alten Freund und Vorgänger als Kapitän der Canucks, der 1000. Scorerpunkt gelingen würde?