041323 Marco Sturm DE

Im Rahmen einer Serie „Im Gespräch mit …“ wird NHL.com/de während der Saison exklusive Interviews mit ehemaligen NHL-Spielern aus dem DACH-Raum führen.

In der heutigen Ausgabe: Marco Sturm (in der NHL aktiv von 1997-2012)

Marco Sturm gehörte zu den besten deutschen Eishockeyspielern aller Zeiten. In 938 Spielen gelangen ihm 242 Tore und 245 Assists. Er war der erfolgreichste deutsche Top-Scorer der NHL-Geschichte, ehe Leon Draisaitl ihn überbot. Nachdem Sturm in seiner aktiven Zeit für die San Jose Sharks, Boston Bruins, Los Angeles Kings, Washington Capitals, Vancouver Canucks und Florida Panthers aktiv gewesen ist, trainiert er heute in der AHL die Ontario Reign (Farmteam der Kings). NHL.com/de traf sich mit Sturm in Los Angeles, um mit dem 45-Jährigen über seine beeindruckende Karriere zu sprechen.   

Herr Sturm, können Sie sich noch daran erinnern, wie in Ihrer Kindheit oder Jugend der Traum von der NHL entstand?

Ich habe früh gemerkt, dass ich ein relativ großes Talent war und besser gewesen bin, als alle anderen. Ich schätze, als ich etwa zwölf oder 13 Jahre alt war, begann ich von der NHL zu träumen. Ich durchlief in den Jahren darauf die U-Nationalmannschaften. Bei den Länderspielen waren die ganzen Scouts vor Ort. Da gab es für mich kein Zurück mehr. 

Sie sind beim NHL Draft 1996 in der 1. Runde an Position 21 von den San Jose Sharks gepickt worden. Wie war vorher der Kontakt zu den Sharks?

Wenn man ein Kandidat für die 1. oder 2. Runde ist, hat man ein bisschen im Gefühl, welches Team besonders interessiert ist. Ich wusste vor dem Draft, dass San Jose am meisten Interesse hat. Das Problem war nur, dass die Sharks den 2. Pick im Draft hatten. Und um ehrlich zu sein: So gut, dass man mich als 2. Pick in der 1. Runde auswählen würde, war ich nun auch wieder nicht. Meine Hoffnung war, dass ich der 2. Pick in der 2. Runde sein würde. Allerdings war es unwahrscheinlich, dass ich dann überhaupt noch verfügbar sein würde. Das war auch San Jose klar (lacht). Daher haben sie einen Trade (mit den Chicago Blackhawks, Anm.d.Red.) gemacht, um den Pick-Nummer-21 zu bekommen. In diesem Moment war mir klar, dass ich nach San Jose gehen würde.

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So kam es dann auch. Sie spielten von 1997 bis 2004 für die Sharks. War das rückblickend vielleicht sogar die schönste Zeit Ihrer Karriere?

Absolut. Ich werde den Start in meine NHL-Karriere nie vergessen. In San Jose fühlte ich mich sofort pudelwohl. Dort bin ich zu dem Spieler geworden, der ich dann schlussendlich war. Zusammen mit Boston war das mit Sicherheit meine schönste Zeit.

Sie sprechen es selber an: Im Jahre 2005 wurden Sie zu den Boston Bruins getradet. Kam das damals für Sie überraschend?

Ja, ich hatte damit nicht gerechnet. Es gab keinerlei Gerüchte, dass ich vielleicht getradet werden könnte. Der Trade ereignete sich früh in der Saison. Zu diesem Zeitpunkt wird man in der NHL nur sehr selten getradet. Ich wollte niemals weg aus San Jose. Meine Frau war mit unserem zweiten Kind schwanger, unser Sohn war erst ein Jahr alt. Ich habe damals auch meine Mutter verloren. Irgendwie kam zu dieser Zeit alles zusammen. Es war eine harte Zeit. Damals habe ich erstmals gespürt, dass die NHL auch ein Geschäft ist. Aber am Ende ging es gut aus. Ich bin fünf Spielzeiten in Boston geblieben und hatte eine gute Zeit. 

Wie wurde Ihnen mitgeteilt, dass Sie nach Boston getradet werden?

Wir hatten damals ein Spiel in Dallas. Nach dem Warmup bekamen wir drei Jungs, also Brad Stuart, Wayne Primeau und ich, gesagt, dass wir in die Kabine des Trainers kommen sollen. Und dann sind wir getradet worden. Wir waren wie gesagt unterwegs. Außer meinem Anzug und meiner Zahnbürste hatte ich praktisch nichts dabei (lacht). Gleich am nächsten Morgen um 6 Uhr ging mein Flieger von Dallas nach Boston. Meine Familie habe ich in den nächsten vier, fünf Wochen nicht mehr gesehen.

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Nach Ihrer Zeit in Boston wechselten Sie zur Spielzeit 2010/2011 zu den Los Angeles Kings. Also zu der Mannschaft, bei der Sie zuletzt Assistenz-Trainer gewesen sind und dessen AHL-Team Sie aktuell trainieren. Machen wir daher einen Sprung in die Gegenwart: War Ihnen die Franchise aus der aktiven Spielerzeit noch sehr vertraut, als Sie hier als Trainer begannen?

Es hatte sich in all den Jahren nichts verändert. Es war so, als wäre ich nie weggewesen. Die Leute, die Büros – alles war wie früher. Das kann man positiv oder negativ betrachten. Ich habe mich sofort wohlgefühlt. Dennoch war es an der Zeit, dass sich hier etwas verändert. Das ist vor etwa vier Jahren geschehen. Nun sind wir wieder dort, wo diese Franchise hingehört. Aber um noch einmal auf meine aktive Karriere zurückzukommen: Ich bin zwar nur ein Jahr in Los Angeles gewesen, hatte hier aber trotzdem eine schöne Zeit. 

Fühlt sich Los Angeles für Sie wie eine Heimat an?

Heimat? (überlegt) Nein, würde ich eher nicht sagen. Aber ich fühle mich sehr wohl. Wenn man in verschiedenen Orten der USA gelebt hat, dann weiß man, dass sich das Leben in jedem Bundesstaat ein bisschen anders anfühlt. Und Kalifornien gefiel mir vom ersten Moment an richtig gut. Das Leben hier ist zwar ziemlich teuer, zudem gibt es hier in Los Angeles ständig überall Verkehrsstaus. Aber die Menschen, die Mentalität und das Wetter sind einfach super. Das passt zu mir. Dennoch ist das nicht meine Heimat, denn meine Familie lebt in Florida. Das ist unser Domizil. Unser Sohn ist mittlerweile ausgezogen. Aber meine Tochter hat noch ein, zwei Jahre Schule vor sich. Wir haben einmal versucht, dass wir alle zusammen hier in Los Angeles leben. Aber für Teenager ist das nicht so einfach, weil sie ihre Freunde vermissen. Daher bleibt meine Familie in Florida, bis die Schulzeit beendet ist. Zumal ich als Trainer auch nie sicher sein kann, wie es weitergeht. Als ich hier anfing, hatte ich zunächst nur einen Vertrag über zwei Jahre.  

Hat Ihr Sohn auch den Traum, eines Tages in der NHL zu spielen?

Den Traum hat er. Aber ich glaube, für die NHL reicht es nicht ganz. Er spielt gerade ein Jahr Junior-Hockey in Colorado. Im kommenden Jahr geht er dann aufs College. Wir sind sehr stolz, dass er durch das Eishockey bei einer der besten Universitäten in Amerika unterkommt. 

Wie leben Sie in Los Angeles? Wohnen Sie in der Nähe der Trainingseinrichtung?

Ja, dies trifft auch auf die meisten Spieler der Kings zu. Das ist auch das Schöne: Los Angeles ist zwar einerseits riesengroß, aber hier (die Trainingsstätte der Kings, das Toyota Sports Performance Center, befindet sich in El Segundo, Anm.d.Red.) ist der wohl beste Standort in der gesamten NHL. Wir sind nur zehn Minuten vom Wasser entfernt, zehn Minuten von zu Hause, fünf Minuten vom Flughafen – besser geht’s nicht. 

Was machen Sie hier in Los Angeles, wenn Sie einmal einen Tag frei haben?

Ich bin gerne am Strand, obwohl ich noch nie im Wasser gewesen bin (grinst). Aber es ist schön, dort ein bisschen spazieren oder laufen zu gehen – einfach, um ein bisschen abzuschalten, die Sonne zu genießen, einen Kaffee zu trinken, Musik zu hören. Ich bin auch viel mit meinem eBike unterwegs. Ich bin einfach gerne am Wasser, aber auch in den Bergen. Dabei kann ich gut meinen Akku aufladen.

Kommen wir noch einmal auf Ihre aktive Karriere zurück: Nachdem Sie 17 Spiele für die Los Angeles Kings absolviert hatten, landeten Sie noch während der Saison bei den Washington Capitals…

Das war auch super. Ich wusste vorher gar nicht, dass Washington so verrückt nach Eishockey ist. Die Stadt ist wunderschön, die Trainingseinrichtung war super.

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In der Saison darauf waren Sie zunächst bei den Vancouver Canucks. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung behalten?

Vancouver war einerseits eine interessante Erfahrung, andererseits keine allzu schöne. Es war schwierig, weil ich durch meinen Kreuzbandriss aus einer längeren Verletzung kam. Ich muss zugeben, dass ich danach nicht mehr derselbe Spieler gewesen bin. Das ganze Drumherum war enorm, gerade auch durch die Medien. Das lässt sich mit den Standorten in den USA nicht vergleichen, nicht einmal mit Boston. Kanada ist von den Medien und den Fans ein ganz anderes Level, das ist noch verrückter als mit der NFL hier in den USA. Man kann das Leben dort praktisch nur genießen, wenn man erfolgreich ist. Ansonsten geht es unter die Gürtellinie.         

Ihre letzte Station waren die Florida Panthers. Dort haben Sie sich schlussendlich mit Ihrer Familie niedergelassen. Demzufolge dürfte es Ihnen dort gefallen haben…

Ja, das stimmt. Wir hätten nicht unbedingt gedacht, dass wir so lange dortbleiben würden. Aber die Kinder wollten danach nicht schon wieder umziehen. Daher haben wir gesagt, dass wir noch ein bisschen in Florida bleiben. Daraus sind dann über zwölf Jahre geworden.

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