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Am 30. Oktober 1984 erzielte Uli Hiemer als erster deutscher Eishockeyspieler ein Tor in der NHL. 84 Sekunden waren absolviert, als er in seiner achten NHL-Partie erstmals die Scheibe im gegnerischen Netz versenkte. Und der Füssener ließ es in der Begegnung seiner New Jersey Devils mit den Pittsburgh Penguins nicht dabei bleiben. Weitere zwei Mal traf er bei dem Schützenfest, das mit 7:6 zu Gunsten der Gäste aus Pittsburgh endete.

Drei Tore eines Verteidigers in einem Spiel, und dieser 22-jährige junge Mann kommt auch noch aus dem fernen Deutschland, auf dem amerikanischen Kontinent zählt Hiemers Hattrick immer noch zu den außergewöhnlichsten in der NHL-Geschichte. In seiner Heimat fand er landesweit gerade einmal Erwähnung in der Rubrik 'Sport aus aller Welt' der ZDF-Sportreportage.
35 Jahre nach Hiemers Rookie-Saison ist der Name eines deutschen Eishockeyspielers in aller Munde - Leon Draisaitl. Gut, besser, am besten. Steigerungsformen werden in der Sportberichterstattung gerne zu früh und inflationär eingesetzt, doch was bleibt einem schon anderes übrig, angesichts der Vorstellungen, die der gebürtige Kölner tagein, tagaus für die Edmonton Oilers abliefert.

STL@EDM: Draisaitl nutzt Gegenzug zum zweiten Tor

Am Freitagabend statteten die St. Louis Blues den Oilers einen Besuch im Rogers Place ab und sie machten Bekanntschaft mit der Torgefahr, die der 24-Jährige nun auch gegen sie ausstrahlt. Gegen kein Team aus der Western Conference hatte Draisaitl seltener getroffen als gegen die Blues. In 13 Aufeinandertreffen waren ihm saisonübergreifend zwei Tore und acht Vorlagen geglückt, in der 14. Begegnung schlug er zweimal zu, führte die Oilers zu einem 4:2-Heimtriumph und der amtierende Stanley Cup Champion musste unverrichteter Dinge, ohne Punkte von dannen ziehen.
"Wir haben ihm Gratisgeschenke gegeben", ärgerte sich Blues-Trainer Craig Berube. Ja, ein Draisaitl lässt sich nicht zweimal bitten, wenn er wie beim 1:0 völlig frei vom Bullypunkt zum Schießen kommt. Jake Allen hatte zwar freie Sicht, doch was willst du schon machen, bei einem solchen präzisen Hammerschuss?
Edmontons Torjäger zeigte im weiteren Verlauf der Partie, dass er noch mehr im Portfolio hat. Beim Stande von 2:2 wurde er per Flip-Pass von Kailer Yamamoto angespielt, stellte geschickt seinen Körper zwischen Justin Faulk und dem Puck, brachte die Scheibe auf die Vorhand und schon zappelte sie im Netz.
Draisaitl baute mit den zwei Treffern seine Punkteserie auf zehn Spiele aus. Ihm gelangen seit dem Silvesterabend 2019 18 Punkte (7 Tore, 11 Assists), und er entriss mit 79 Punkten (29 Tore, 50 Assists) seinem Teamkollegen Connor McDavid die Führung in der Scorerwertung der Liga. Bereits zum zweiten Mal in der laufenden Saison punktete Draisaitl in zehn aufeinanderfolgenden Partien. So etwas hat man selbst in Norden Albertas lange Zeit nicht mehr gesehen. Der letzte Spieler der Oilers, dem das gelang war Jimmy Carson vor 31 Jahren in der Saison 1988/89 (11 Sp. vom 23. Nov. - 14. Dez. 1988 und 10 Sp. vom 28. Jan. bis 17. Feb. 1989).

STL@EDM: Draisaitl überwindet Allen mit Schlagschuss

Mit einem Schnitt von 1,55 Punkten pro Spiel ist Draisaitl dabei, seine persönliche Bestmarke von 105 Punkten in 82 Spielen der Saison 2018/19 deutlich zu überbieten (1,28).
Die Statistik spuckt sogar noch mehr Superlativen für Draisaitl aus: Am 24. Oktober 2014, im Alter von 19 Jahren und drei Tagen löste er Marco Sturm (19 Jahre, 26 Tage) ab, als jüngsten Deutschen, dem in der NHL ein Tor gelungen ist. Sturms Saisonrekord von 59 Punkten (29 Tore, 30 Assists) in der Saison 2005/06, überbot Draisaitl erstmals 2016/17, als er es auf 77 Punkte (29 Tore, 48 Assists) brachte. Auch in den folgenden drei Jahren ließ er die Bestmarken des Dingolfinger hinter sich, der zusammen mit Jochen Hecht ab Ende der 90er Jahre das Aushängeschild des deutschen Eishockeysports in Nordamerika war.
Unter den zehn punktbesten Spielzeiten eines deutschen NHL-Spielers ist Draisaitl fünfmal vertreten - dabei bestreitet er erst seine fünfte volle NHL-Saison.
Es schaut so spielend leicht aus, wenn Draisaitl trifft, doch es steckt eine Menge Arbeit dahinter.
"Wenn Leon in Fahrt kommt, ist das ein Spiel für große Männer, und er hat in dieser Partie ausgezeichnet gespielt", bekam Draisaitl ein Sonderlob von seinem Trainer Dave Tippett. "Seine beiden Tore waren wichtige Tore, es waren wohlverdiente Tore. Diese Reihe (Draisaitl, Ryan Nugent-Hopkins, Yamamoto) war klasse, und es war schön zu sehen, dass Leon sein Spiel in eine andere Richtung gewendet hat."
"Es macht momentan richtig viel Spaß zu spielen, hoffentlich können wir das so fortsetzen", wünscht sich Draisaitl. Wer will daran zweifeln?