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Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft steht nach drei Spielen bei der IIHF Eishockey-Weltmeisterschaft 2023 in Finnland (Tampere) und Lettland (Riga) noch ohne Punkt da. Gegen die Top-Nationen Schweden (0:1), Finnland (3:4) und die USA (2:3) konnte Deutschland immer mithalten, haderte aber mit der Chancenverwertung. NHL.com/de sprach exklusiv mit DEB-Sportdirektor Christian Künast über den bitteren Auftakt, die Verstärkungen aus der NHL und die Frage ob Leon Draisaitl (Edmonton Oilers) und Philipp Grubauer (Seattle Kraken) nach dem Aus in den Stanley Cup Playoffs noch als prominente WM-Verstärkungen zum Team stoßen.

Hallo, Christian! Die deutsche Nationalmannschaft ist mit drei Niederlagen in die WM 2023 gestartet. Würdest du von einem Fehlstart sprechen?
Ich würde ein anderes Wort wählen: Es war kein optimaler Start. Uns war bewusst, dass wir die drei stärksten Gruppengegner gleich zu Beginn haben und dass diese drei Niederlagen passieren können. Wir hätten aber den einen oder anderen Punkt verdient gehabt. Wir müssen jetzt einfach unseren Weg weitergehen und konsequenter spielen.
Deutschland war in allen Spielen mit dem Gegner auf Augenhöhe, hat jeweils nur mit einem Tor verloren und hatte starke Phasen, in denen Tempo und spielerische Klasse aufgeblitzt sind. Was fehlt noch, um sich dafür zu belohnen?
Grundsätzlich ist es unser Anspruch, auch gegen diese Nationen mitzuspielen. Was uns vielleicht noch fehlt, sind Kleinigkeiten, auf die es in diesem internationalen Bereich ankommt. In der Offensive müssen wir noch mehr Druck auf den gegnerischen Torwart ausüben, müssen da härter arbeiten, noch mehr Schüsse nehmen und mehr Intensität zeigen.
In wie fern ist Deutschland in den verbleibenden Gruppenspielen gegen vermeintlich leichtere Gegner jetzt unter Druck?
Ich glaube, bei einer WM ist immer Druck da. Jeder geht anders damit um, es gehört auf diesem Niveau einfach mit dazu und macht den Reiz aus. Druck zu haben, ist auch ein Privileg.
Deutschland hat auch einen Mentaltrainer mit an Bord. Nehmen die Spieler dieses Angebot an?
Tom Kossak ist schon einige Zeit bei uns. Es hat Gruppenmeetings gegeben, es gibt auch Spieler, die individuell auf ihn zurückgreifen. Ich finde, das ist eine sehr gute Sache. Früher ist man dafür belächelt worden, aber der mentale Aspekt des Spiels ist ein extrem wichtiger Bereich für einen Sportler und gehört heutzutage einfach dazu.
Das Team hat am Dienstag und Mittwoch frei. Hat der DEB ein Programm für diese Tage zusammengestellt?
Die Spieler sind erwachsen und werden sich selbst darum kümmern. Die Mannschaft unternimmt viel zusammen und wird den Großteil dieser Zeit gemeinsam verbringen. Ich selbst habe Termine, kann also nicht mit dabei sein.
Im Winter warst du auf einer Reise durch die NHL. Wie hast du diese Welt mit ihren Standorten, Stadien und Spielern erlebt?
Es ist nicht umsonst die beste Liga der Welt! Da gehört alles dazu, die Stadien, Atmosphäre, und Spieler aus der Weltspitze. Ich muss aber ehrlich sagen, dass mir die Stimmung in Deutschland besser gefällt. Gleichwohl herrscht beispielsweise in Seattle oder Boston nochmal eine ganz besondere Atmosphäre.
In San Jose bist du auf Nico Sturm getroffen, der schon damals für die WM zugesagt hatte. Wie macht sich der Stanley Cup Champion als WM-Debütant im Kreis der Nationalmannschaft?

SJS@CGY: Sturm befördert den Puck über die Linie

Mit Nico war es tatsächlich ein sehr kurzes Gespräch, denn er hatte sofort zugesagt. Er macht sich hier hervorragend, alleine seine Bully-Statistik und wie er auf und neben dem Eis auftritt. Er ist für alle Nachwuchsspieler ein absoluter Vorzeigespieler, der zeigt, was mit der täglichen Bereitschaft zu arbeiten alles möglich ist. Das ist schön zu sehen. Er ist ein eher ruhiger Zeitgenosse, doch alles, was er macht, hat Hand und Fuß. Er führt die Mannschaft, spricht viel auf der Bank und mit seinen Mitspielern. Er ist der geborene Anführer, denn wenn er spricht, dann hören alle zu. Auch die Trainer wissen, was sie an dieser Reihe mit Nico Sturm, Alexander Ehl und Samuel Soramies haben. Sie spielen fast fehlerfrei, was auf diesem Niveau eine reife Leistung ist.
Wie froh warst du, dass sich Moritz Seider kurz vor der WM doch noch umentschieden hat und jetzt mit dabei ist?
Alle waren froh darüber. Moritz gibt uns in der Abwehr nochmal eine andere Qualität, das ist unbestritten. Jeder weiß, wie gut er spielen kann und wie gut er in der NHL gespielt hat. Ich muss an dieser Stelle auch die Detroit Red Wings loben, die sich vorbildlich verhalten haben, auch in der Kürze der Zeit. Alles lief hochprofessionell ab, da kann ich nur den Hut ziehen.

ProSieben MAXX: Seider erzielt ein Tor in Unterzahl

JJ Peterka sticht bislang mit Finesse heraus. Wie siehst du seine Leistung und seine Entwicklung im letzten Jahr?
JJ hat muss man differenziert betrachten: In Buffalo ist er ein Drittreihen-Spieler, der sich Eiszeit und offensive Akzente erkämpfen und hart nach hinten arbeiten muss. Bei uns ist er gefordert, ein Top-6-Stürmer zu sein und zu produzieren, was für einen jungen Spieler nicht einfach ist. Er sticht natürlich heraus mit seinen Fähigkeiten an der Scheibe. Ich kenne wenige Spieler, die technisch so stark sind. Vielleicht fehlt ihm noch ein etwas mehr Geradlinigkeit und Zug zum Tor. Er denkt, er muss alles auf seine Schultern laden, das müssen wir ihm etwas nehmen.

BUF@NYR: Peterka netzt zum 1:0 ein

Mit Leon Draisaitl ist ein NHL-Superstar in den Stanley Cup Playoffs ausgeschieden. Wird er nun zum deutschen Team stoßen?
Wir vermelden erst etwas, wenn es etwas zu vermelden gibt. Ich habe unfassbaren Respekt vor Leon und vor der Leistung, die er in jedem Spiel bringt. Er ist tagtäglich diesen Druck und der Aufmerksamkeit der Gegenspieler ausgesetzt. Davor habe ich Hochachtung. In den Playoffs hat er nochmal eine Schippe draufgelegt. Er ist einer der besten Spieler der Welt. Wir müssen das also immer mit Respekt behandeln, denn er kann nicht einfach sagen, dass wir ihm einen Flug buchen sollen, er steigt in den Flieger und ist morgen hier, sondern er hat auch jetzt noch Verpflichtungen, Exit-Meetings und medizinische Untersuchungen. Wir warten diesen Prozess ab. Es wird sicherlich zeitnah eine Entscheidung fallen.

Leon Draisaitl mit seiner Punkteserie von 8-Spielen

Stellt die Versicherungssumme für einen Superstar, der ein durchschnittliches Jahressalär von 8,5 Millionen Euro hat, ein Problem für den Deutschen Eishockey Bund dar?
Leon Draisaitl ist für uns versicherungstechnisch kein Problem. Es wird natürlich eine finanzielle Belastung für uns sein, aber es wird nicht an der Versicherungssumme scheitern.
Mit Philipp Grubauer ist kürzlich auch noch ein deutscher Top-Goalie aus den Stanley Cup Playoffs ausgeschieden. Hast du ihn schon angerufen?
Auch hier ist es das Gleiche: Wir kümmern uns darum, dass das was wird. Für uns ist jeder NHL-Spieler grundsätzlich ein Kandidat. Ich habe größten Respekt davor, wie Grubi in den Playoffs gespielt hat. Er war einer der Gründe, warum Seattle überhaupt so weit gekommen ist. Wir geben ihm jetzt die Zeit, das Aus zu verarbeiten und warten ab.

DAL@SEA, Sp4: Grubauer rettet gegen Seguin

Mit Tim Stützle, JJ Peterka und Moritz Seider erobern derzeit junge deutsche Spieler die NHL. Wie stolz ist der DEB auf die nächste Welle deutscher Superstars in der NHL?
Sehr stolz. Man sieht, dass die Arbeit in Deutschland aus den letzten Jahren Früchte trägt. Wir werden nicht in jedem Jahrgang einen neuen Mo Seider haben, es muss aber unser Ziel sein, denn das zeigt, wie gut unsere Nachwuchsarbeit ist. Davon sind wir noch weit entfernt, aber wir stellen uns dieser Herausforderung.
\[Komplette Berichterstattung von NHL.com/de von der IIHF Weltmeisterschaft 2023 aus Riga, und Tampere\]
Wie lautet deine Prognose für die weitere WM?
(lacht) Ich bin ein ganz schlechter Wahrsager. Ich bin überzeugt von der Mannschaft, von unserem Teamgeist und von unserer Spielweise. Nach drei Niederlagen beginnt es natürlich im Kopf zu arbeiten. Es wird interessant sein, wie wir uns jetzt gegen Dänemark präsentieren werden. Ich bleibe positiv und bin guter Dinge. Wir schauen nach vorne, denn vieles ist möglich.