NHL.com/de diskutiert die Entwicklung junger Spieler
Das Redaktionsteam diskutiert über die hohen Erwartungen an die Rookies und den Leistungsdruck
von NHL.com/de Autor @NHLde
Willkommen zum Writer's Room. Während der Saison 2018/19 wird das Team von NHL.com/de jeden Freitag wichtige Themen der Liga diskutieren und analysieren. In dieser Ausgabe: Erwartungen an junge Talente.
Ein wiederkehrendes Thema in der NHL sind Jahr für Jahr die neuen, jungen Spieler der Liga. Die Talente aus der ersten Runde des Draft stehen stets im Fokus, werden mit Argusaugen beobachtet und jede Bewegung, jede Statistik und jeder Fehler analysiert. In der Saison 2016/17 waren es Auston Matthews und Patrik Laine, die vom ersten Spiel an zu überzeugen wussten. Matthews führte am Ende der Saison alle Rookies mit 69 Punkten an (40 Tore, 29 Assists), Laine lag mit 64 Punkten (36 Tore, 28 Assists) nur knapp hinter ihm, obwohl er neun Spiele lang ausfiel.
Doch nicht jeder Spieler, von dem es erwartet wird, schlägt von Beginn an so ein und manche Spieler brauchen länger, um in der Liga anzukommen. Ein Paradebeispiel dafür ist etwa Yanni Gourde. Der Center der Tampa Bay Lightning wurde nie gedraftet, hatte 2015 bereits sein erstes Spiel in der NHL, konnte sich zunächst aber nicht durchsetzen. In der vergangenen Saison schaffte er den Sprung in das Team der Lightning und bestritt mit 25 Jahren seine erste volle NHL-Saison, wobei er mit 64 Punkten (25 Tore, 39 Assists) zu den Leistungsträgern gehörte.
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Die Gründe für diese unterschiedlichen Karriere-Verläufe sind vielfältig. Ein Faktor ist sicherlich, wie die Rookies mit dem Druck und den hohen Erwartungen umgehen. Darauf hat auch ein zweiter wichtiger Punkt Einfluss, nämlich das Team. Landet ein Spieler in seiner ersten Saison in einem eher schwachen Kader, steht er mehr im Mittelpunkt, was den Druck erhöht. Auf der anderen Seite hat es ein Spieler, der bei einem starken Team untergekommen ist, unter Umständen leichter zu punkten.
Die erste NHL-Saison eines Spielers in der NHL kann tatsächlich ein Hinweis auf eine große Karriere sein, sollte aber noch lange nicht dazu führen, dass man einen Spieler aufgibt. Die Leistungsexplosion kann auch noch Jahre später folgen.
Stefan Herget: Man sollte insbesondere bedenken, dass die Spieler mit 18 oder 19 Jahren noch nicht voll entwickelt sein können. Schließlich gewinnen sie erst in den Jahren danach entsprechend an Muskelmasse dazu und werden dadurch auch robuster in ihrem Spiel und im Wegstecken gegnerischer Checks. Ich habe da immer ein Bild von Dennis Seidenberg vor Augen, als er mit 21 Jahren nach Nordamerika ging. Er wirkte schmächtig und ein paar Jahre später war er ein gestandener Mann, muskulös und kraftvoll. Diese Entwicklung muss man gerade Spielern, die nicht über ein außergewöhnliches Talent, wie Matthews oder Connor McDavid verfügen auch zugestehen. Daran hängt häufig, dass es erst eine gewisse Entwicklung braucht, um in der NHL anzukommen.
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Bernd Rösch: Inwieweit ein junger Spieler in seinem ersten NHL-Jahr unter Leistungsdruck gerät, hängt von mehreren Faktoren ab. Einige davon wurden schon genannt. Die Spielerposition ist ein weiterer, der eine gewaltige Rolle spielt. Stürmer werden viel zu oft bereits in ihrer Rookie-Saison rein an ihrer Punkte-Ausbeute gemessen. Vor allem Außenstehende, wie Fans und lokale Medien, halten sich nicht an Kritik zurück, sollte das Sturmtalent hinter deren (zu) hohen Erwartungen zurückbleiben. Nicht jeder junge Spieler ist in der Lage ein solches Umfeld auszublenden und sich rein auf sein Weiterkommen zu konzentrieren. In einem solchen Fall kann bereits das erste Jahr einer hoffnungsvollen Eishockey-Karriere der Anfang vom Ende sein.
Umso früher ein Nachwuchsspieler bei einem NHL-Draft ausgewählt wurde, desto stärker ist der Druck, der auf ihm lastet. Um diesen zu nehmen sind das Management und die sportliche Leitung des Franchises gefragt. Sie müssen dem Spieler glaubhaft vermitteln, dass sie gegenüber ihm Geduld aufbringen und von ihm keine Wunderdinge fordern. Hervorragend gelungen ist das zuletzt den New Jersey Devils bei ihrem Nummer 1-Pick von 2017, dem Schweizer Nico Hischier.
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Robin Patzwaldt: Mit der Entwicklung junger Talente ist das immer so eine Sache. Natürlich hängt der Erfolg eines Nachwuchsspielers im Regelfall sehr stark von der jeweiligen Umgebung ab, in der dieser sich entwickeln kann. Logisch, dass es hilft ein entsprechendes Umfeld zu haben, das einen optimal fördert und auf dem Weg an die Spitze bestmöglich unterstützt.
Was wir jedoch in der Debatte nicht vergessen sollten, bei all den, sicherlich völlig zurecht geäußerten Gedanken zu diesem Thema, ist der menschliche Faktor. Jeder Spieler hat einen ganz eigenen Charakter, ist mehr oder wenig sensibel, belastbar oder intelligent. Manch ein Akteur reift in der Persönlichkeit eher, manch einer später oder vielleicht auch gar nicht. Dementsprechend unterschiedlich verlaufen die Karrieren. Talent ist dabei längst nicht alles und der Themenkomplex nicht auf Eishockey oder gar die NHL beschränkt. Diese Grundsätze betreffen ebenso das Leben von Menschen in anderen Branchen und Lebensbereichen. Die Diskussion ist folglich eine unglaublich komplexe und einfache Erklärungen wird es nicht geben. Jeder Fall ist anders gelagert.
Marc Rösch: Wie von euch ausgeführt, ist die Erwartungshaltung des Umfeldes sicherlich ein enormer Faktor. Mindestens genauso bedeutend ist jedoch auch die Erwartungshaltung des jungen Sportlers an sich selbst. Die Nachwuchsspieler, die es schaffen, beim NHL Draft ausgewählt zu werden, gehörten schon immer zu den besten ihres Jahrgangs. Sie haben ihre Gegner in den Juniorenteams nach Belieben dominiert und in einer Saison teilweise dreistellig gescored. Kommen sie in die NHL, so müssen sich die meisten von ihnen in einer bislang unbekannten Rolle zurecht finden. Es klappt nicht mehr alles wie gewohnt und das Spiel in der Checking Line kannten sie sonst nur vom Hörensagen. Nur wer dann physisch und psychisch robust ist, hat nachhaltig Erfolg.