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David Aebischer war ein Pionier für das Schweizer Eishockey. Er war der Erste seines Landes, der sich in der NHL durchsetzen und im Jahr 2001 mit der Colorado Avalanche als Backup-Torhüter von Patrick Roy den Stanley Cup gewinnen konnte. Der heutige Torhüter-Trainer und Assistenz-GM beim HC Fribourg-Gottéron wird in einer regelmäßigen Kolumne exklusiv für NHL.com/de seine Ansichten zu Teams, Spielern und brennenden Fragen teilen.

Hier die vierte Ausgabe 2022/23:
In der vergangenen Woche wurde die Halbzeit der regulären Saison 2022/23 erreicht und eine Tendenz hat sich weiterhin als erst einmal nachhaltig verfestigt. Es fallen weiterhin viele Tore in der NHL, und das ist gut für die Fans und die Liga. Leidtragende sind dabei etwas die Defensiven und Torhüter.
Wir befinden uns in der Saison mit der höchsten Torquote (6,4 Tore pro Spiel) seit 27 Jahren. Ich habe mich in den letzten Jahren an dieser Stelle schon häufiger über diesen Trend geäußert, zu seinen Gründen und Auswirkungen, doch mittlerweile scheint der Trend nachhaltig zu werden und nicht nachzulassen. Es war das große Ziel der NHL, mit mehr Toren wieder spektakulärer zu werden, nachdem gerade zu Beginn des neuen Jahrtausends zunehmend das defensivere Eishockey dominierte. Unter anderem mit Regeländerungen, auch bei der Torhüterausrüstung, wurde die Anzahl der Tore wieder nach oben geschraubt.
Die Spieler selbst haben ebenfalls einen großen Einfluss darauf. Die Sturmreihen sind heutzutage offensiv wesentlich leistungsfähiger, während früher durchaus die dritte und vierte Reihe vor allem die Aufgabe hatten, das gegnerische Spiel zu stören. Durch effektivere Trainingsmethoden und neuen Erkenntnissen sind die Spieler athletischer und schneller, werden schlittschuhtechnisch und läuferisch zunehmend besser ausgebildet. Dadurch kann mehr Wert auf die Offensive gelegt werden. Das alles zahlt sich bei den erzielten Toren aus.
Insgesamt sehe ich das sehr positiv für die Liga, auch wenn ich natürlich die Torhüter im Blick habe. Ein weiterer Aspekt ist, dass es durch viele Tore weiterhin viele Comeback-Siege gibt. 44 Prozent der Spiele in der ersten Saisonhälfte hat noch eine Mannschaft gewonnen, die mindestens einmal im Rückstand war. Früher haben wir immer gesagt, wenn man führt, dann kann man das Spiel kontrollieren und verlangsamen, was es für den Gegner schwer macht, zurückzukommen. Man muss abwarten, ob dieser Trend sich fortsetzt, der sich für mich überraschend in den letzten Stanley Cup Playoffs schon gezeigt hat. Es zeigt sich hier ebenfalls, dass die Spieler individuell an Klasse gewonnen haben und nicht mehr komplett ausgeschaltet werden können.
Sehr erfreulich aus Schweizer Sicht ist, dass Verteidiger Tim Berni bei den Columbus Blue Jackets im Dezember aus der AHL hochgeholt wurde und bis heute oben ist. Ich habe ihn im Dezember gegen die Los Angeles Kings im Fernsehen spielen sehen und er hat mir gut gefallen, wie er aufgetreten ist. An der Scheibe hat er mit Ruhe und Übersicht die richtigen Entscheidungen getroffen. Er bekommt das Vertrauen der Trainer und kann davon profitieren, dass die Blue Jackets die Playoffs wohl nicht schaffen werden. So bauen sie ihn auf für die Zukunft. Er bekommt viel Eiszeit, und das ist eine gute Entwicklung. Er zahlt das mit Leistung zurück. Ich hoffe, das bleibt so. Er kann weiter Erfahrung sammeln und stetig besser werden.
Ähnliches: [Beniers und Thompson in der ersten Hälfte an der Spitze der Rookies]
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Die Colorado Avalanche haben sich in der ersten Saisonhälfte unerwartet schwergetan und liegen außerhalb der Playoff-Plätze. Sie haben zwar ein paar Spiele in der Hinterhand, um die bestehende Lücke zu schließen, aber diese Punkte müssen sie erst einmal machen. Vielleicht hatten sie noch etwas Müdigkeit vom Feiern im Sommer nach dem Cupgewinn, aber das Verletzungspech ist sicher ein Faktor. Ihre Chancen, in die Playoffs zu kommen, sind weiterhin gut und intakt. Es wird noch einen Push von ihnen geben in dieser Saison.
Die Nashville Predators haben auch Aufholbedarf, aber es dürfte schwer für sie werden, noch nach vorne zu kommen. Sie werden sicher fighten. Wenn ich jedoch Geld darauf wetten sollte, dann würde ich eher auf Colorado tippen. Es wird ein harter Kampf bis zum Schluss und sie müssen hoffen, dass von den vorderen Drei (Winnipeg Jets, Dallas Stars, Minnesota Wild) in der Central noch jemand schwächelt, denn neben Colorado und Nashville wollen die St. Louis Blues aus der Division auch noch rein. Es wird also sehr eng werden.
Ein Grund, dass momentan die Wildcards in der Western Conference beide an die Pacific Division gehen, ist das starke Auftreten der Seattle Kraken. Sie sind eine Mannschaft, von der man erwarten konnte, dass sie sich steigern werden, aber nicht in dieser Qualität. Sie spielen gutes und schnelles Eishockey. Das nötige Selbstvertrauen haben sie sich aufgebaut, dass sie es mittlerweile mit jedem Gegner aufnehmen können, wie sie mit ihrem Sieg in regulärer Spielzeit in Boston gezeigt haben. Sie waren das erste Team in dieser Saison, dem das gelang.

SEA 3, BOS 0

Kaum Chancen auf die Playoffs haben werden die San Jose Sharks, was sehr schade für Timo Meier ist. Er spielt auf einem hohen Niveau und die Mannschaft kann nicht standhalten. Er wird mit seinem auslaufenden Vertrag die Frage beantworten müssen, ob er seine Zukunft in San Jose sieht und dort in den nächsten Jahren auch Playoffs zu spielen oder sein Glück, woanders sucht, womöglich schon dieses Jahr mit einem Trade. Was ich gehört habe ist, dass sie anscheinend Gespräche führen. Doch der Ausgang scheint offen.
Erfreulich ist, dass die New Jersey Devils den Turnaround nach ihrer kleinen Negativserie im Dezember geschafft und sich in der Spitze der Metropolitan Division wieder gefestigt haben. Ich glaube, jetzt sollte nicht mehr viel gegen eine Teilnahme an den Playoffs für sie sprechen, weil sie wieder gutes Hockey spielen. Wenn ihnen das nach einem Durchhänger gelungen ist, dann ist das ein gutes Zeichen für den weiteren Saisonverlauf.