040324 Stefan U

Im Rahmen der Serie „Im Gespräch mit …“ wird NHL.com/de während der Saison 2023/24 exklusive Interviews mit ehemaligen NHL-Spielern aus dem DACH-Raum führen.

In der heutigen Ausgabe: Stefan Ustorf (in der NHL aktiv von 1995 bis 1997)

Stefan Ustorf war nicht nur ein Kult-Spieler in der DEL, der mit den Eisbären Berlin sechs Meistertitel gewann und sich den Spitznamen „Hooligan“ erarbeitete. Der gebürtige Kaufbeurer spielte auch zwei Jahre für die Washington Capitals und wurde damit zum ersten deutschen Stürmer in der NHL. Nach seiner aktiven Karriere arbeitete Ustorf als Sportdirektor bei den Eisbären sowie auch als Scout für die Los Angeles Kings. Seit März 2021 ist der 50-Jährige als Sportdirektor bei den Nürnberg Ice Tigers aktiv.

Stefan Ustorf

Mit NHL.com/de spricht Ustorf exklusiv über seinen überraschenden Draft, seine harte Zeit in der NHL, enge Verbindungen zu Barry Trotz und Olaf Kölzig sowie über die große Liebe zum Eishockey.

Die Nürnberg Ice Tigers sind schon in der Sommerpause – ihr Sportdirektor auch?

(Lacht) Nein, der Sportdirektor hat nie Sommerpause. Ich bin für diese Jahreszeit aber schon recht weit und sehr zufrieden damit, wie alles läuft. Es gibt noch ein paar Baustellen, aber das sind eher Kleinigkeiten.

Bei den Ice Tigers gab es einen größeren Umbruch im Sturm, auch die Positionen Trainer und Co-Trainer werden neu besetzt. War dies deine anspruchsvollste Saison in Nürnberg?

Nein, das würde ich nicht so sagen. Klar, der Trainerstab wird ausgetauscht, aber ich war in der Lage, einen Kern aus 15 Spielen zusammenzuhalten, was ich wollte. Sicher gehen auch Spieler, die uns wehtun, aber so ist das in unserem Geschäft. Anspruchsvoll ist es immer.

Mit Tom Rowe hattest du nach deinem Amtsantritt damals einen NHL-erfahrenen Trainer geholt, nun kommt mit Mitch O’Keefe ein junger Coach ohne NHL-Vergangenheit. Warum fiel die Wahl auf ihn?

Das Anforderungsprofil hat sich verändert: Zum damaligen Zeitpunkt war es wichtig, einen erfahrenen Trainer zu holen, um der Mannschaft Selbstvertrauen und Struktur zu geben und eine Kultur zu etablieren. Das haben wir sehr gut hinbekommen, denn dieses Gerüst steht. Mein Wunsch war jetzt, einen Trainer zu finden, der sich mit der Mannschaft auf Augenhöhe befindet und am gleichen Punkt der Karriere steht. Jeder unserer Spieler hat gezeigt, dass er in der DEL spielen kann, jetzt wollen wir es als Mannschaft beweisen, dass es noch besser geht. Mit Mitch O’Keefe haben wir einen Trainer geholt, der mit erst 40 Jahren auch an einem Punkt ist, wo er mehr bewegen möchte als zu seiner erfolgreichen Zeit in Innsbruck.

Gefühlt kommen in den letzten Jahren weniger ehemalige NHL-Profis nach Deutschland, sondern eher aus der AHL und ECHL. Wie kommt es zu dieser Trendwende?

Das hat etwas mit dem Markt und den Finanzen zu tun. In Nordamerika gibt es immer mehr NHL-Mannschaften, die sich auch im Stab immer wieder neu aufstellen und diesen erweitern. Es gibt neue Positionen in der Entwicklung oder im Video-Coaching. Viele Spieler, die an einem gewissen Punkt in ihrer Karriere angelangt sind, gehen nicht mehr nach Europa, um ihrer Karrieren dort ausklingen zu lassen, sondern wechseln in eine NHL-Organisation, um sich dort weiterzubilden, den Anschluss herzustellen und sich einzuarbeiten. Ein großer Punkt sind auch die Finanzen: Die KHL oder die Schweizer NL sind uns finanziell noch ein paar Punkte voraus. Da können wir bei vielen Ex-NHL-Spielern nicht mithalten. Auch in der AHL wird mittlerweile besser bezahlt.

WSH Stefan Ustorf

Wie intensiv verfolgst du das Geschehen in der NHL?

Sehr intensiv! Meine Frau wird bestätigen können, dass ich nur Eishockey im Kopf habe, egal ob NHL, AHL oder ECHL. Für mich geht es immer darum, etwas Neues dazuzulernen und so viele Informationen wie möglich zu sammeln, um bessere Antworten auf eigene Probleme zu haben. Ich muss auch zugeben, dass ich die NHL zu intensiv verfolge, weil ich nun mal ein riesiger Eishockey-Fan bin. Die NHL ist für mich an einem Punkt, an dem sie unfassbar attraktiv ist, was die Fähigkeiten der Spieler angeht. Es macht Spaß, zuzuschauen. Insbesondere bei Spielern wie Connor McDavid, Auston Matthews oder Nikita Kucherov, die Sachen machen, die ich seit 25 Jahren nicht gesehen habe. Dazu kommen Spieler wie Sidney Crosby oder Alex Ovechkin, die auch in ihrem Alter noch zeigen, wozu sie im Stande sind. Das alles macht unglaublich viel Spaß!

Du selbst wurdest im Jahr 1992 in der 3. Runde an 53. Stelle von den Washington Capitals gedraftet. Wie hast du den NHL Draft damals erlebt?

Ich war in Kaufbeuren in unserem Stadtlokal „Stadtschreiber“ und hatte keine Ahnung, dass der Draft überhaupt stattfindet. Ich war also mit meinen Kumpels unterwegs und wurde dann von meinem Vater angerufen. Er hat gesagt, dass sich die Washington Capitals gemeldet haben, ich von ihnen gedraftet wurde und dorthin fliegen sollte.

Du hast einmal gesagt, dass du deine Zeit in der NHL nie wirklich genießen konntest, warum?

Weil ich mich nie wohlgefühlt habe. Das ist eine lange Erklärung. Ich komme aus Kaufbeuren, bin also in einer Kleinstadt aufgewachsen, in der Eishockey das A und O war. Ich habe dort den Nachwuchs durchlaufen, irgendwann mit 17 Jahren in der Bundesliga gespielt und bin dann gedraftet worden. Alles ist ruck zuck passiert. In meiner ersten Saison in Nordamerika gab es den Lockout, was für mich bedeutet hat, dass ich zu den Portland Pirates in die AHL gegangen bin. Dort hatte ich meine 25 Teamkollegen. In der NHL hat sich plötzlich jeder um sich selbst gekümmert, denn jeder musste sich beweisen. Es gab drei Mann, die deinen Platz haben wollten. Das kannte ich so nicht, es war eine komplett neue Situation für mich. Ich habe den Konkurrenzkampf mit den Kollegen nicht verstanden und konnte ihn dadurch auch nicht annehmen. Ich habe mich nie als Teil der Mannschaft gefühlt. Mein damaliger Trainer Jim Schoenfeld wollte das auch genauso haben. Er hat gesagt: „Ich will nicht, dass du dich eine Sekunde wohlfühlst. Ich will, dass du Angst vor mir hast, dass ich dich wegschicke. Nur so kriege ich das Beste aus dir heraus.“ Mit Anfang 20 habe ich nicht kapiert, was er will. Ich habe auch keine Fragen gestellt oder mir Hilfe gesucht.

Wie stolz bist du trotzdem, es in die NHL geschafft zu haben?

Ich glaube schon, dass ich sehr stolz darauf sein kann. Immerhin war ich der erste deutsche Stürmer, der in der NHL gespielt hat. In 100 Jahren NHL-Geschichte gab es vielleicht 7.000 Spieler – ein Teil dieser Gruppe zu sein, ist nicht so verkehrt. Ich hätte mir gewünscht, dass ich mich persönlich besser darauf vorbereitet hätte. Vielleicht hätte ich es dann auch länger dort schaffen können. Eishockey-technisch wäre ich gut genug gewesen, um längere Zeit in der NHL verbringen zu können. Mental war ich aber völlig unvorbereitet.

WSH Stefan u

Viele deiner ehemaligen Mitspieler sind jetzt Trainer in der NHL, darunter etwa Craig Berube, Andrew Brunette oder Rick Tocchet. Seid ihr noch in Kontakt?

Regelmäßig gibt es diesen Kontakt nicht. Man telefoniert, wenn ich Infos brauche. Mit Andrew Brunette habe ich erst telefoniert, Barry Trotz habe ich in Nashville getroffen. Ich habe immer versucht, Kontakt zu halten.

In deinem Telefon hast du viele prominente Kontakte wie etwa den von Steve Yzerman. Wie kommt man an diese Telefonnummern?

Da kommt eines zum anderen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Steve Yzerman meinen Namen im Telefon eingespeichert hat (lacht). Nach meiner Zeit in Berlin war ich auf Jobsuche und hatte mich auch bei NHL-Klubs beworben. Es war Pandemie, also habe ich viele Gespräche geführt. Da kommen ein paar Telefonnummern zusammen. Barry Trotz ist für mich mehr als nur ein Kontakt. Er ist fast wie ein Kumpel, denn ich kenne ihn seit 30 Jahren. Er ruft auch mich mal an, wenn er etwas über einen Spieler aus Europa wissen möchte. Eishockey ist eine kleine Welt. Man will sich gegenseitig helfen und informieren. Mich kann also jeder gerne anrufen.

Du hast auch lange mit Torwart-Legende Olaf Kölzig zusammengespielt. Hattet ihr eine besondere Verbindung?

Wir sind gute Freunde, immerhin haben vier Jahre zusammengespielt. Ich schreibe mir außerdem auf die Fahne, dass er überhaupt zum deutschen Nationalspieler geworden ist, denn er wusste gar nicht, dass er das darf. In Washington hat er einmal zu mir gesagt, dass er auch Deutscher ist. Ich sagte, dass sein Name dafürspricht, dann hat er aber gesagt, dass er sogar einen deutschen Pass hat. Er hat mir dann eine Geschichte erzählt, dass er mit der U20-Nationalmannschaft von Kanada zur WM nach Russland reisen wollte, doch beim Ausfüllen des Visa-Antrags ist aufgefallen, dass er nur den deutschen und keinen kanadischen Pass hat. Vor dem World Cup of Hockey habe ich dann (DEB-Präsident) Franz Reindl angerufen. Plötzlich hatten wir einen NHL-Torwart für die deutsche Nationalmannschaft.

Olaf Kölzig

Warum ging deine NHL-Zeit nach zwei Jahren zu Ende?

Ich muss gestehen, dass ich selbst einen riesigen Fehler gemacht habe. Mein Vertrag war ausgelaufen, ich habe ein neues Angebot von Washington bekommen, wollte aber einen Ein-Wege-Vertrag haben, was nicht funktioniert hat. Dann wollte ich mehr Geld bei einem Zwei-Wege-Vertrag in den Minors haben. Als auch das nicht geklappt hat, habe ich mir gedacht, dass ich nach Berlin gehe und sich bestimmt nach zwei Wochen jemand aus der NHL melden würde, der mich haben möchte. Washington hatte damals den GM gewechselt, auch lagen meine Rechte noch für sieben Jahre bei den Capitals. George McPhee hat gesagt, dass ich bis zum Sommer in Deutschland bleiben sollte. Ich saß also fest. Das wars. Es war eine extrem dumme Entscheidung von mir. Ich bin dann zurück nach Amerika gegangen und habe in Las Vegas gespielt. Dann gab es Verhandlungen mit den Columbus Blue Jackets, worüber ich mich riesig gefreut habe, denn ich wollte einen Neuanfang in Ohio starten. Als es soweit war, hat mir aber wieder Washington einen Vertrag angeboten. Dann wurde meine Frau krank und wird sind zurück nach Europa.

Du hast 1997/98 für die Las Vegas Thunder in der IHL gespielt, schon 20 Jahre vor dem Start der Vegas Golden Knights. Hatte es damals auch schon so viel Glamour?

Nein. Vegas war damals aber etwas anderes, die Einwohnerzahl hat sich seitdem mehr als verdoppelt. Die IHL war eine Liga, die ebenbürtig mit der AHL war. Die älteren Spieler sind oft in die IHL gegangen, weil es dort deutlich schönere Städte wie Las Vegas, Houston oder San Francisco gab. Auch wurde dort besser gezahlt.

Du hast deine Schlittschuhe auch für die Cincinnati Cyclones geschnürt. Wäre Cincinatti ein guter NHL-Standort?

Das könnte ich mir schon vorstellen. Die Columbus Blue Jackets haben in Ohio hervorragende Arbeit im Umfeld und in der Nachwuchsarbeit geleistet. Es sind viele Eisflächen gebaut worden. Cincinnati ist ein hervorragender Standort, der mit den Reds (Baseball) und den Bengals (Football) schon gute Sportvereine in der Stadt hat.

Derzeit ist mit Leon Draisaitl nur ein Deutscher auf Playoff-Kurs. Was für deutsche NHL-Fans ein Fluch ist, könnte für die deutsche Nationalmannschaft ein Segen sein. Wie siehst du diese Konstellation?

Den Spielern wünsche ich immer maximalen Erfolg. Da kommt als erstes immer der Verein. Ich möchte, dass so viele deutsche Spieler wie möglich in den Stanley Cup Playoffs spielen. Wenn dem nicht so ist, und sie für Deutschland spielen können und wollen, dann freue ich darüber, denn wir können dann eine Nationalmannschaft aufs Eis schicken, die viel erreichen kann. Als Eishockey-Fan gibt es also nichts Negatives. Ein deutscher Stanley Cup Champion ist immer eine riesige Sache – eine Medaille für Deutschland hat natürlich auch etwas.

LAK@EDM: Draisaitl gelingen drei Assists

Sind Draisaitl und die Oilers schon bereit für den ganz großen Wurf?

Sie sind soweit, auf jeden Fall. Aber es gibt in der NHL so viele hervorragende Mannschaften: Edmonton, die Florida Panthers, New York Rangers, Dallas Stars, Vegas Golden Knights oder Colorado Avalanche, die bei einem normalen Lauf jeden schlagen können. Die Oilers sind gut genug, um zu gewinnen, dafür muss aber viel richtig laufen. Du musst gesund bleiben. Außerdem gilt für jede Mannschaft: Wenn du es in die Playoffs schaffst, dann kannst du auch den Stanley Cup gewinnen. Nicht umsonst ist es die am härtesten zu gewinnende Trophäe, mit den längsten Playoffs.

Schafft es Moritz Seider mit den Detroit Red Wings noch in die Playoffs?

Ich glaube ja. Sie schaffen das noch.

Tim Stützle mit den Ottawa Senators und JJ Peterka mit den Buffalo Sabres hatten sich dagegen als Playoff-Team gesehen, werden es aber wohl nicht schaffen. Warum hat es für sie nicht geklappt?

Konstanz ist das entscheidende Stichwort. Beide Teams hatten Schwierigkeiten mit ihren Torhütern. Auch bei den beiden Deutschen gibt es große Unterschiede bei der individuellen Leistung. JJ spielt eine Riesensaison, hat sich als Torjäger etabliert und wird die 30-Tore-Marke ankratzen, was toll ist. Immerhin hat er letzten Jahr teilweise noch in der AHL gespielt. Er hat einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. Ohne bei Timmy Stützle jetzt zu kritisch sein zu wollen: Er ist ein unfassbar guter Eishockey-Spieler, aber ich glaube, dass er selbst nicht zufrieden mit seiner Saison ist. Letztes Jahr hat er 39 Tore geschossen und 90 Scorerpunkte gesammelt. Dieses Jahr sind es knapp 20 Treffer – das ist für einen Spieler wie ihn nicht genug, weil er jemand ist, der mit seinen Leistungen dafür sorgt, dass Ottawa den nächsten Schritt macht. Er ist Assistenzkapitän, er ist der Superstar der Mannschaft, er hat vermutlich das größte Potenzial und kann deshalb nicht zufrieden sein. Natürlich ist das Weinen auf einem extrem hohen Niveau, aber Tim will immer mehr, immer besser werden. Eben weil er so getrieben ist, ist er so gut.

CAR@OTT: Stützle gleicht im zweiten Drittel aus

Welche Teams haben für dich in dieser Saison überrascht?

Ich hätte den Philadelphia Flyers nicht zugetraut, noch im Rennen um einen Playoff-Platz dabei zu sein. Für mich ist auch überraschend, dass die Florida Panthers wieder so gut abschneiden. Ich habe sie mehrfach gesehen, sie spielen so dominantes Eishockey, dass sie für mich der Geheimfavorit sind. Das gefällt mir sehr gut. Die Winnipeg Jets hätte ich auch nicht so gut erwartet. Von den Washington Capitals bin ich auch überrascht, gerade weil es analytisch schwer zu erklären ist. Das zeigt, dass vieles eben doch auf dem Eis mit Herz, Einsatz und Kampf geregelt wird. Torwart Charlie Lindgren hält hervorragend, auch Ovi hat sich gefangen. Sollte es Washington in die Playoffs schaffen, dann ist Spencer Carbery für mich der Trainer des Jahres. Seine Energie und Leidenschaft sind ansteckend.

Du bist bald wieder in den USA. Wirst du auch Playoff-Spiele live verfolgen?

Live eher nicht, das hat für mich immer etwas mit Arbeit zu tun und ich werde dort nicht viele Spieler finden, die für die Nürnberg Ice Tigers in Frage kommen (lacht). Die 1. Runde ist für mich die größte Zeit des Jahres. Da werde ich mich im Keller vor dem Fernseher verbergen.

Gibt es trotzdem Chancen auf einen Grillabend mit Kult-Schiedsrichter Wes McCauley?

Mit Sicherheit. Ich werde ihn im Sommer wieder besuchen. Er arbeitet halt auch immer bis ganz zum Ende der Saison. Wir werden aber eine Zeit finden.

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