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Der Frust war Alex Ovechkin anzusehen. Der Kapitän der Washington Capitals ärgerte sich nicht nur darüber, das Spiel 1 der ersten Runde in den Stanley Cup Playoffs gegen die New York Islanders verloren zu haben. Er störte sich vor allem daran, wie die Niederlage zustande kam. Oder anders gesagt: Wie einfach sein Team das Spiel hergeschenkt hatte.

"Wir dürfen einfach nicht so in das dritte Drittel gehen", beklagt der 34-Jährige. "Wir liegen in Führung. Wir müssen also einfach nur unser Spiel weiterspielen. Aber stattdessen haben wir aufgehört zu spielen. Das Ergebnis davon sehen wir." Es lautete 2:4, nachdem die Capitals eigentlich die Partie im Griff zu haben schienen.

T.J. Oshie brachte die Capitals mit zwei Toren per Powerplay im zweiten Drittel mit 2:0 in Führung. Doch New York genügten 13 Minuten, um vier Tore zu erzielen und die Partie somit zu drehen. Drei dieser Gegentreffer ereigneten sich im Schlussdrittel. "Das war ein schreckliches, schreckliches drittes Drittel. Das war nicht unser Hockey-Stil und wird uns hoffentlich eine Lehre sein", sagt Oshie.

Einen rabenschwarzen Tag erwischte Torwart Braden Holtby, der lediglich 85,2 Prozent aller Schüsse parieren konnte und zumindest bei zwei Gegentreffern eine große Mitschuld trug.

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"Das erste Gegentor darf so einfach nicht fallen", zeigte sich der Schlussmann selbstkritisch. Er hatte freie Sicht, als Jordan Eberle aus mittlerer Distanz abzog. An normalen Tagen hätte der Kanadier diesen Angriff problemlos pariert. "Das war ein ganz schlechtes Gegentor und aus unserer Sicht ein ganz schlechter Spielabschnitt. Das lag an mir. Dadurch hat sich die Dynamik des Spiels verändert."

Auch beim 2:3, welches Washington sogar in Überzahl kassierte, sah Holtby aufgrund einer ungezielten Puck-Herausgabe nicht gut aus. Insgesamt scheint ihm diese Saison die Konstanz zu fehlen. In der regulären Spielzeit hatte er mit einer Save-Quote von 89,7 Prozent die schwächste seiner Karriere.

Dabei beweist er phasenweise noch immer, über welche Qualitäten er verfügt. Beim Sieg in der Platzierungsrunde gegen die Boston Bruins war er mit einer Save-Quote von 96,8 Prozent überragend. Hieran gilt es anzuknüpfen.
Nach drei Niederlagen in vier Postseason-Spielen muss sich die gesamte Mannschaft steigern, soll die Saison nicht schon bald beendet sein. Die Capitals beweisen in den Playoffs zwar ein überragendes Unterzahlspiel und kassierten im gegnerischen Powerplay noch kein einziges Tor. Doch was nützt das, wenn man dafür, wie nun gegen die Islanders, drei Gegentreffer im 5-gegen-5 kassiert und eines sogar in Überzahl?
Auch die Offensive hat noch viel Luft nach oben. Lediglich sieben Tore haben die Capitals in vier Partien erzielt - ergibt ein Schnitt von 1,75 Treffern pro Spiel. Lediglich drei der 24 Teams aus den Playoffs trafen noch seltener.

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Die mickrige Toranzahl ist nicht verwunderlich: In den vier Spielen brachte Washington im Schnitt lediglich 25,3 Schüsse zustande - der schlechteste Wert der Postseason. Auch Ovechkin ist weit von seiner Normalform entfernt. Seine Bilanz in den Playoffs: 0 Tore, 0 Assists. Dabei ist er der Spieler, der von seiner Qualität her Partien im Alleingang entscheiden kann.
Ein weiterer Schwachpunkt: die Bullys. Nur in 38,1 Prozent konnte Washington den herabfallenden Puck für sich gewinnen. Auch das ist der schlechteste Wert der Postseason. Es gibt also viele Aspekte, an denen Trainer Todd Reirden im Hinblick auf das 2. Spiel am Freitag (8 p.m. ET; Sa. 2 Uhr MESZ; NHL.TV) mit seiner Mannschaft arbeiten muss.
Für Reirden ist dies eine echte Bewährungsprobe. Er war zwar bereits Assistenztrainer in Washington, als die Capitals 2018 den Stanley Cup gewannen. In die Rolle des Cheftrainers schlüpfte er allerdings erst danach. Bislang konnte er in dieser Funktion noch keine Playoff-Runde gewinnen. Vergangene Saison scheiterten die Capitals in der 1. Runde an den Carolina Hurricanes.
Für Reirden wäre es doppelt wichtig, sich im zweiten Anlauf als Playoff-Trainer zu beweisen. Schließlich steht hinter der Bande der Islanders Barry Trotz, der beim Titelgewinn 2018 sein Cheftrainer war und in dessen Schatten Reirden dadurch noch immer steht. Mit einem Sieg über die Islanders hätte sich das erledigt. Doch das erfordert eben eine Steigerung seiner gesamten Mannschaft.

Islanders erzielen 4 unbeantwortete Tore in Spiel 1

Erschwerend kommt hinzu, dass die Capitals im bevorstehenden Spiel möglicherweise auf Nicklas Backstrom verzichten müssen. Der Center zog sich nach einem Hit vom Gegenspieler Anders Lee, den er überhaupt nicht kommen sah, früh im Spiel eine Verletzung zu. "Wir werden ihn untersuchen und dann am Donnerstag ein Update über seinen Zustand geben", sagt Reirden. "Es war ein später Hit gegen einen völlig unvorbereiteten Spieler, der daher in dieser Situation sehr verletzlich war."
Ein Ausfall von Backstrom wäre schwer zu verkraften. Zwar hat der Schwede in der Postseason bislang auch noch nicht zu seiner Effektivität gefunden (kein Tor, 1 Assist), ist aber als Spielgestalter dennoch wichtig und war in der regulären Saison teamintern mit 42 Assists der zweitbeste Vorlagengeber hinter Verteidiger John Carlson.
Schlussendlich darf es für die Capitals keine Rolle spielen, wer nun auf dem Eis stehen kann und wer nicht. Die Hauptstädter müssen in Spiel 2 zwingend ausgleichen, um gegen die defensivstarken Islanders (im Schnitt nur 1,8 Gegentore pro Playoff-Spiel) nicht vorschnell mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Holtby gibt sich nach der Auftakt-Niederlage zuversichtlich: "Wir haben genug Erfahrung, um zu wissen, dass dieses eine Spiel keine komplette Serie ausmacht."
Hoffnung macht, dass die Defensive rund um den Schweizer Jonas Siegenthaler insgesamt wenig Torschüsse zulässt. In den bisherigen vier Begegnungen waren es durchschnittlich 26,8 - der fünftbeste Wert der Playoffs.
Womöglich kann diese Qualität dazu beitragen, dass die Capitals Spiel 2 gewinnen und Ovechkin nicht mehr ganz so frustriert sein muss.