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In der Politik wird meist nach 100 Tagen Bilanz über die Erfolge und Misserfolge neuer Regierungen gezogen. Auch im Eishockey sollte regelmäßig betrachtet werden, wie sich ein neues Trainerteam in der anfangs ungewohnten Umgebung eingelebt hat und welche positiven oder negativen Entwicklungen das Team vollzogen hat. Die 100-Spieltage-Bilanz von Trainer Barry Trotz von den New York Islanders fällt dabei so glänzend aus, wie es sich viele Regierungen nur wünschen könnten.

62-30-8 lautet die Bilanz von Trotz als Hauptverantwortlichem hinter der Bande der Islanders. Unter den Umständen, die er zu Beginn seiner Amtszeit in New York vorfand, ist die Siegquote von 62 Prozent gar nicht hoch genug einzuschätzen. In der Saison vor Trotz (2017/18) verpasste die Vertretung aus Long Island die Playoffs deutlich. Am Ende fehlten 17 Zähler, um an der Schlussrunde teilnehmen zu dürfen. Die Defensive war mit 296 Gegentreffern die Schießbude der Liga und das Vertrauen in die Verteidiger war auch beim künftigen Coach eingeschränkt. "Als ich hier anfing, dachte ich, dass die Defensive nicht gut ist und auch bei den Torhütern hatte ich meine Zweifel", sagte er rückblickend.
Schnell erkannte Trotz jedoch, dass die Leistungen aus der Saison 2017/18 keinen Rückschluss auf die wahren Qualitäten seiner Akteure zuließen. "Wir haben herausgefunden, dass wir sehr gute Verteidiger haben," betonte er. Viele Experten hatten den Islanders nach der schwachen Saison und dem Abgang von Superstar John Tavares zu den Toronto Maple Leafs nichts zugetraut. Doch Trotz formte eine Einheit, die gemeinsam die Spielphilosophie ihres Trainers umsetzt. "Ich denke, dass die Spieler verstanden haben, dass sie ihr Ego zurückstellen müssen, wenn sie Erfolg haben wollen," lässt er in die Psyche seiner Mannschaft blicken.

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"Am Ende des Tages genießt jeder den Erfolg," resümierte Trotz das Offensichtliche. "In dieser Liga ist es sehr schwer, sowohl individuell als auch als Team erfolgreich zu sein. Wenn du dich als Spieler etwas zurücknimmst, wird das Team mehr erreichen. Du selbst hast vielleicht ein paar Tore und Vorlagen weniger, aber das Gefühl zu siegen ist viel besser. Du wächst enger zusammen und das macht jedem das Leben einfacher."
Dieser Zusammenhalt ist es, der die Islanders zu einem der Überraschungsteams 2018/19 werden ließ. Trotz machte aus der löchrigen Verteidigung das Fort Knox der NHL. 100 Treffer weniger als 2017/18 ließen die Islanders 2018/19 zu. Lediglich 196 Gegentreffer bedeuteten den Spitzenwert der Liga. Der zweite Rang in der Metropolitan Division, eine Bilanz von 48-27-7 und die Teilnahme an den Stanley Cup Playoffs waren der wohlverdiente Lohn für Trotz und seine Schützlinge.
In der ersten Runde verzweifelten die Pittsburgh Penguins am Defensivverbund der Islanders. Mit 4:0 sweepte New York die Penguins und lies in den Spielen zwei, drei und vier jeweils nur einen Gegentreffer zu. In der zweiten Playoff-Runde war jedoch Endstation. Die Islanders verloren die Serie gegen die Carolina Hurricanes mit 0:4. Dennoch konnte New York die Saison als Erfolg verbuchen, wurden die eigenen Erwartungen doch deutlich übertroffen.
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"Natürlich schauen wir auf die Analysen und Statistiken. Wir haben Stapel über Stapel an Papier, aber am Ende ist das Ergebnis die einzige Statistik, die zählt," erläutert Trotz sein Verständnis von Eishockey. Während viele Teams versuchen, den Kontrahenten möglichst nicht in der eigenen Zone agieren zu lassen, verfolgt er ein anderes Konzept. "Ich habe kein Problem damit, wenn die Gegner viel Zeit in unserer Zone verbringen. Wenn wir unsere Positionen halten, können sie den gesamten Tag dort verbringen, ohne dass etwas dabei herauskommt." Die Islanders reagieren im Gegensatz zu anderen Teams nicht panisch, wenn sich der Gegner in der Angriffszone festsetzt. Trotz ist der Meinung, dass es sich seine Mannen "mit dieser ungemütlichen Situation gemütlich gemacht" haben.
Die Erfolge der Islanders unter Trotz sind nicht nur einer sattelfesten Defensive geschuldet. Er fordert von seinen Spielern eine konzentrierte Leistung auf der gesamten Eisfläche ein und entwickelt die Akteure genau unter diesen Gesichtspunkten weiter. Mathew Barzal etwa galt vor der Trotz-Ära vor allem als herausragender Angriffszonen-Spieler. Unter dem Träger des Jack Adams Awards von 2019 mutierte er zu einem kompletten Spieler. Trotz glaubt, dass sogar noch mehr in Barzal steckt: "Ich weiß nicht, ob es viele Spieler gibt, die jemals vollständig ihr Potential ausschöpfen. Ich glaube, er hat mehr Balance in seinem Spiel und versteht, wie jede seiner Entscheidungen und Aktionen uns positiv oder negativ beeinflusst. Alle jungen Spieler gehen das Spiel in einer bestimmten Art und Weise an. Und wenn die nicht funktioniert, sind sie manchmal frustriert. Aber in seinem Auftreten schwingt schon eine unglaubliche Reife mit."

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Das Rezept von Trotz ist einfach. Der Gegner soll sich an der Defensive abarbeiten und im richtigen Moment schalten die Islanders in den Angriffsmodus um. Mit zwei Aussagen unterstreicht der Trainer genau diesen Ansatz. "Mit der Zeit wird jeder ungeduldig. Wenn wir schlicht und ergreifend unsere Arbeit erledigen, werden wir davon profitieren." Dies lässt darauf schließen, dass die Islanders den Gegen mürbe machen wollen. Und mit dem Statement: "Wir haben auch kein Problem damit, Zeit in der Zone des Gegners zu verbringen. Aber dabei steht für uns Qualität vor Quantität", wird klar, dass es im Angriff um das schnelle Erspielen von Torgelegenheiten geht. Darüber hinaus kommt es laut Trotz noch auf das Momentum in einer Partie an: "Du wirst ein richtig gutes Team nie 60 Minuten ausschalten können. Das Momentum schwingt hin und her. Wie gut du damit umgehst, entscheidet letztlich darüber, ob du die Chance hast zu gewinnen."
Nach 100 Partien weiß Trotz ganz genau, welche Knöpfe er bei den Islanders drücken muss, um die gewünschten Ergebnisse einzufahren. Mit dem 4:3-Erfolg in Overtime gegen die Philadelphia Flyers am Samstag verlängerten die Islanders ihre Punkteserie auf 14 Partien (13-0-1). Lediglich in drei Begegnungen in der laufenden Saison gingen sie komplett leer aus. Mit 42 Gegentreffern bildet die Defensive einmal mehr das Prunkstück. Sie stellt momentan die beste Abwehr der Liga dar. Die überragende Leistung von Torhüter Thomas Greiss (1,98 Gegentore im Schnitt und 93,8 Prozent Fangquote) war dafür ein wichtiger Baustein.