Tavares

Es ist schon eine geraume Zeit her, dass es ein Superstar der NHL, der in der Region von Toronto geboren und aufgewachsen ist, gewagt hat, einen Vertrag bei den Toronto Maple Leafs zu unterschreiben.

Erinnert sei an Verteidiger Larry Murphy, der als zweifacher Stanley Cup Champion mit den Pittsburgh Penguins, vor der Saison 1995/96 zu den Maple Leafs kam oder an Joe Nieuwendyk, der 1989 mit den Calgary Flames, 1999 mit den Dallas Stars und 2003 mit den New Jersey Devils dreimal den Stanley Cup gewann, bevor er eine Saison lang die Schlittschuhe für seine Heimatstadt schnürte. Nieuwendyk enttäuschte keineswegs. Dem 37-jährigen Center gelangen im Trikot mit dem Ahornblatt auf der Brust 50 Punkte (22 Tore, 28 Assists) in 64 Partien. Seine Karriereende wollte er jedoch nicht in seiner Heimat begehen und so bestritt er seine letzten zwei Spielzeiten bei den Florida Panthers.

Dabei gibt es doch für einen Sportler kaum etwas schöneres, als von den heimischen Anhängern gefeiert zu werden und als Lokalheld einen besonderen Status inne zu haben. John Tavares, dem ehemaligen Teamkapitän der New York Islanders, war es, neben dem gut dotierten Vertrag von $77 Millionen in sieben Jahren, eine Herzensangelegenheit seine sportliche Laufbahn in der kanadischen Metropole fortzusetzen.
Warum wagen so selten Spitzenspieler, die aus einer kanadischen Eishockeyhochburg stammen, den Schritt bei jenem Klub anzuheuern, den sie als Kind angefeuert haben?
Als Gallionsfigur einer ganzen Region stehen sie unter einem besonderen Druck, den der ein oder andere vielleicht scheut. Solange es sportlich gut läuft, gewinnt man die Herzen der Fans im Handumdrehen, doch sobald die Erfolge ausbleiben, und sei es auch nur für ein paar Wochen, schwenkt die Stimmung der Anhänger um. Murphy erzielte während seines knapp zweijährigen Aufenthalts bei den Maple Leafs 19 Tore und 81 Assists in 151 Partien, doch er trug aus Sicht der Zuschauer die Verantwortung, dass die Leafs 1996 bereits in der ersten Playoffrunde scheiterten und im Jahr darauf ihre Division als Tabellenletzter abschlossen. Häufig musste er sich Pfiffe von den Rängen gefallen lassen.
Wer in eishockeyverrückten Städten seinem Sport nachgeht, steht unter ständiger Beobachtung der lokalen Medien, der Fans und der gesamten Öffentlichkeit. Als Spieler der Maple Leafs ist es fast unmöglich durch das Stadtzentrum zu laufen oder die Yonge Street entlang zu bummeln ohne dabei erkannt zu werden. Doch auch ein Eishockeymillionär braucht seine Privatsphäre, benötigt Momente in denen er sich zurückziehen kann. Denn von ihm wird erwartet, dass er tagein, tagaus Topleistungen erbringt.
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Tavares wird kommende Saison der bestbezahlteste Spieler in Toronto sein und womöglich sogar das Kapitänsamt übertragen bekommen. Sollten die Saison nicht so gut für die Maple Leafs verlaufen, wie es vom Umfeld erwartet wird, dann dürfte er der erste sein, der im Kreuzfeuer steht. Und es wird der Druck, der von außen an ihn herangetragen wird, noch einmal zunehmen.
Kraft geben könnte ihm zwar einerseits die bekannte Umgebung, die Jugendfreunde und die Familie, der er nun wieder näher ist, andererseits erwähnte der langjährige ehemalige Teamkapitän der Maple Leafs Wendel Clark am Sonntag gegenüber TSN sehr bildlich, dass dies auch zu einer zusätzlichen Belastung werden könne: "Es sind nicht wirklich nur die Fans und die Medien die beeinflussen], wie du mit deiner 'Coming-Home-Situation' umgehst", sagte Clark. "Samstagabend um 16:30 Uhr ruft dein Vater an und teilt dir mit: 'Bob auf der Straße gegenüber braucht zwei Karten', und du bist in der Kabine und musst versuchen, Karten für Bob auf der Straße gegenüber zu arrangieren, der der beste Freund deines Vaters ist. Das klingt komisch, aber das sind die Situationen, die auf dich zukommen, wenn du in deiner Heimatstadt spielst."
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Die Erwartungen an die Maple Leafs haben zugenommen. Endlich verfügen sie über eine junge Mannschaft mit einer Menge spielerischem Talent, und sie haben seit dem 1. Juli auch einen der besten Center in der Liga, einen Teamleader sowie Topscorer in ihren Reihen. Würde Tavares nicht über so viel Selbstvertrauen verfügen und sich nicht sicher sein, dass er die Last, die nun auf seinen Schultern ruht, auch tragen kann, hätte er diesen Kontrakt nicht unterzeichnet.
Es gehört auch eine Menge Mut dazu, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen. Sollte es gut ausgehen wird Tavares zum Helden Tausender junger Anhänger, die wie er früher in blau-weißer Leafs Bettwäsche schlafen und auch jener, die zwei Generationen lang, seit 51 Jahren, auf die nächste Meisterschaftsfeier in der größten Stadt Kanadas warten.