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Es mag verschiedene Meinungen darüber geben, welche Position beim Eishockey die wichtigste ist. Unbestreitbar ist allerdings, dass die Rolle des Torhüters in einem NHL-Team eine ganz besondere ist. Alle Tore, die man vorne erzielt, helfen nicht, wenn man hinter sich einen Mann zwischen den Pfosten hat, der ein gewisses Maß an Unsicherheit und Nervosität ausstrahlt. Das kann sich schnell auf den Rest der Truppe übertragen. Die Folge: Auch die Vorderleute werden nervös, bekommen Nervenflattern und machen Fehler. Dann geht die Mannschaft mit dem unsicheren Goalie auch in der Regel als Verlierer vom Platz.

In den Playoffs nimmt die Wichtigkeit des Torhüters nochmal zu. Denn während der regulären Saison kann man Fehler oder verlorene Spiele einfacher ausbügeln. 82 Partien bestreitet jedes Team. Da ist ein verlorenes Spiel normalerweise eher zu verschmerzen. In der K.o.-Runde aber werden Fehler nicht verziehen. Schon gar nicht in der Verlängerung, noch weniger in einer Partie, in der ein Team ausscheiden kann und die Spieler danach den Eishockey- gegen die Golfschläger tauschen können.
Auf dieser Position haben die St. Louis Blues keine Sorgen. Ihr Torwart Jordan Binnington ist zwar ein Rookie, doch für einen Neuling in der besten Eishockeyliga der Welt ist er erstaunlich abgeklärt. Nichts scheint den 25-Jährigen, der in Richmond Hill (Ontario) geboren wurde, aus der Ruhe zu bringen.

STL@SJS, Sp2: Binnington stoppt Goodrow im Gegenzug

Gelegenheiten dazu gab es. Nicht viele, aber die eine oder andere haarige Situation in den Playoffs musste der Goalie überstehen. Und manch ein anderer Rookie wäre mit der Belastung vielleicht gar nicht fertig geworden. Da wären zum Beispiel die Partien 3 und 4 der ersten Playoff-Runde gegen die Winnipeg Jets. Beide Spiele fanden im Enterprise Center von St. Louis statt. Beide Spiele verloren die Blues. Und beim 3:6 in Spiel 3 hatte auch Binnington, den die Blues 2011 im Draft in der dritten Runde an 87. Stelle gezogen hatten, ein paar Wackler drin. Er fand in Spiel 4 wieder zu seiner Normalform zurück, konnte aber die 1:2-Niederlage nach Verlängerung nicht verhindern. In den darauffolgenden Duellen gab er den Blues immer die Gelegenheit, Spiele zu gewinnen - was sie auch taten.
In der zweiten Playoff-Runde gegen die Dallas Stars lagen die Blues schon 2:3 zurück. 1:2 hatten sie Spiel 5 zu Hause verloren, waren von den eigenen Fans mit Buh-Rufen verabschiedet worden. Von einem Routinier könnte man erwarten, dass ihn das nicht belastet. Einem Rookie würde man verzeihen, wenn ihn das mitnimmt. Doch Binnington hielt auch hier dem Druck stand und führte sein Team zu zwei weiteren Siegen und dem Einzug ins Conference Finale. Und dort? Dort musste er in der ersten Partie beim 3:6 gegen die San Jose Sharks fünfmal hinter sich greifen. Bei Gegentreffer Nummer sechs hatte er seinen Kasten für einen sechsten Feldspieler verlassen. Seine Fangquote von 79,2 Prozent war für einen NHL-Torwart indiskutabel. 24 Schüsse kamen auf seinen Kasten, nur 19 wehrte er ab.
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Doch in Spiel 2 machte Binnington erneut das, was er in seiner kurzen NHL-Laufbahn bislang am besten konnte: Zweifler zum Verstummen bringen. Denn in der folgenden Partie hielt er mit grandiosen Paraden die Blues im Spiel, gab ihnen eine reelle Siegchance, und St. Louis nutzte sie. Den spektakulärsten Save zeigte er 90 Sekunden vor dem Ende, als er gegen den Schweizer Timo Meier mit Maske, Schulter und Schoner klärte.
"Binnington ist mental sehr stabil. Deshalb fängt er sich auch immer wieder", meinte Blues-Kapitän Ryan O'Reilly nach Spiel 2 gegen die Sharks. "Er ist sehr selbstbewusst und einer der Hauptgründe, warum wir diese Partie gewonnen haben." Binnington habe eine unglaubliche Leistung geboten. "Er hat einige sehr wichtige Paraden gezeigt", lobte O'Reilly.
Die Fähigkeit, nach einem weniger guten Spiel wieder zurückzukommen, hat Binnington nach Meinung seines Trainers nicht erst in den Playoffs offenbart. "Er macht das schon das ganze Jahr lang", meinte Craig Berube nach Spiel 2 in San Jose. Nach jedem Rückschlag habe er im nächsten Spiel wieder seine gewohnte Form gezeigt. "Er hat immer die richtige Antwort gefunden."

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Generell gilt, dass Binningtons Statistiken nicht die besten in den Playoffs sind. 2,54 Gegentore bekommt er im Schnitt. Tuukka Rask (Boston Bruins) nur 2,02. Seine Fangquote von 90,9 Prozent ist durchschnittlich. Einen Shutout hat er bislang in der K.o.-Runde noch nicht verbucht. Aber bei den Siegen ist er mit deren neun hinter Rask auf Rang 2, gemeinsam mit Martin Jones (San Jose Sharks). Und das ist am Ende die Kategorie, auf die es ankommt.
Mit 24 Siegen in der regulären Saison hat Binnington schon einen Franchise-Rekord für Rookies im Tor aufgestellt. Mit seinem nächsten Sieg in den Playoffs wäre er der zehnte Neuling in der NHL-Geschichte, der in seinen ersten Playoffs mindestens zehn Siege holt. Der Rekord steht bei 15. Den teilen sich Patrick Roy (1986, Montreal Canadiens), Ron Hextall (Philadelphia Flyers, 1987), Cam Ward (Carolina Hurricanes, 2006) und Matt Murray (Pittsburgh Penguins, 2016). Es wird immer wahrscheinlicher, dass auch der Name Jordan Binnington in dieser Liste auftaucht.
Dazu müsste er die Blues allerdings ins Stanley Cup Finale führen. Das Zeug dazu hat er. Denn seine Ruhe strahlt auch auf die Vorderleute ab, die mittlerweile wissen, dass sie sich in brenzligen Situationen auf ihren Schlussmann verlassen können.
Und das wissen sie spätestens seit Anfang Januar. Denn damals ist Binnington zum Team gestoßen. Somit steht er sinnbildlich auch für den Aufschwung der Blues. Diese waren zu Beginn des Jahres noch abgeschlagen an letzter Stelle in der NHL. Doch seit Binnington zwischen den Pfosten steht, eilt St. Louis von Erfolg zu Erfolg. Ein Ende der Reise ist nicht abzusehen. Nicht, wenn Binnington weiter solche Leistungen zeigt und so cool bleibt.