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Während der Saison 2019/20 wird das Team von NHL.com/de jeden Samstag in der Rubrik "Writers' Room" wichtige Themen der Liga diskutieren und analysieren. In dieser Ausgabe: Ereignisse, die über das Spielgeschehen hinausgehen.

In jeder Spielzeit erleben wir in der NHL prägende Ereignisse, die über das Spielgeschehen auf dem Eis hinausgehen. Alleine in den vergangenen Tagen gab es drei sehr emotionale Momente unterschiedlicher Art.
Da war zum einen die Nachricht vom tragischen Saisonaus von Jay Bouwmeester. Der Verteidiger der St. Louis Blues brach beim Spiel seines Teams gegen die Anaheim Ducks am 11. Februar auf der Spielerbank plötzlich zusammen. Die Partie im Honda Center wurde daraufhin abgebrochen. Aufgrund einer akuten Herzerkrankung steht inzwischen fest, dass die Saison 2019/20 für ihn vorzeitig beendet ist.
Dann freuten wir uns kürzlich gemeinsam, dass Alex Ovechkin von den Washington Capitals die 700-Tore-Marke erreichte. Der 34-jährige Russe wurde am vergangenen Samstag zum erst achten Spieler in der Ligageschichte, dem dieser Meilenstein gelang. In der Eishockeywelt wurde intensiv darüber diskutiert, ob er womöglich eines Tages noch den Torrekord von Wayne Gretzky mit 894 Treffern überbieten wird.

WSH@NJD: Ovechkin schießt sein 700. NHL-Tor

Am vergangenen Wochenende begeisterte uns zudem das kleine Eishockeymärchen, das David Ayres schrieb, indem er als 'Notnagel' das Tor der Carolina Hurricanes hüten musste. Nachdem sich die beiden nominierten Torhüter der Hurricanes im Laufe des Spiels bei den Toronto Maple Leafs verletzt hatten, musste Ayres spontan als Ersatz ran.
Schlagzeilen machte der 42-Jährige auch, weil er eigentlich 'nur'Fahrer der Eismaschine in Toronto für das dortige AHL-Team ist. Ayres stand für die Hurricanes fast das halbe Spiel im Gehäuse und schaffte es tatsächlich den Gästen zu einem 6:3-Sieg zu verhelfen. Was für eine verrückte Geschichte!
Welche Ereignisse dieser Art haben unsere Autoren in der Vergangenheit besonders beeindruckt?
In dieser Ausgabe haben wir darüber diskutiert:
Robin Patzwaldt:All diese Ereignisse zeigen uns, wie besonders dieses Spiel sein kann. Ich denke, da sind wir uns alle einig. Egal ob eher von tragischer Natur, oder auch einmal geradezu märchenhaft, wie die Ayres-Geschichte. Es zeigt, dass der sportliche Erfolg in einem Spiel manchmal gar nicht so wichtig ist, wie wir vielleicht denken. Diese Geschichten am Rande des Spielgeschehens zeigen einem auf, was wirklich wichtig ist.
Wenn ein Spieler wie Bouwmeester mit dem Leben kämpft, dann ist sehr schnell egal, wie es in der Partie steht. Es ist sicherlich gut und wichtig, sich hin und wieder daran zu erinnern, dass es im Leben wichtigeres als den Profisport gibt. Häufig entsteht der Eindruck, dass es für einige Zeitgenossen die wichtigste Frage ist, ob ihr Lieblingsteam am vergangenen Spieltag gerade gewonnen oder verloren hat.

Bouwmeester

Ich finde es toll, dass es Bouwmeester inzwischen deutlich bessergeht. Das ist die Hauptsache. Für Ayres freut es mich, dass er sich seinen Eishockeytraum so unerwartet erfüllen konnte. Dass das Ganze dann sogar in einem Sieg für Carolina endete, macht es unvergesslich. Diese Geschichten erwärmen einem das Herz. Sie zeigen, dass bei aller Kälte im Profibusiness immer noch der menschliche Faktor vorhanden ist. Das finde ich wichtig.
Aus meinem eigenen Erleben möchte ich hier an dieser Stelle vielleicht noch das erste NHL-Spiel der New York Rangers nach den Anschlägen vom 11. September 2001 anfügen. Ich werde es nie vergessen, wie Mark Messier und seine Teamkameraden den Opfern der Anschläge und den Helden auf Seiten der beteiligten Rettungskräfte gedachten, wie Messier am 7. Oktober 2001 vor dem Spiel gegen die Buffalo Sabres mit einem Feuerwehrhelm auf dem Kopf und einigen Tränen im Augenwinkel Rettungskräfte auf dem Eis begrüßte, ihnen gerührt die Hand schüttelte. Das war für mich ein ganz besonderer Moment, der bei mir noch heute Gänsehaut hervorruft.
Christian Göbel: An atemberaubenden Geschichten mangelt es aktuell sicher nicht. Ovechkin, Ayres, Bouwmeester - Das sind Anekdoten, die nur der Sport schreiben kann. So euphorisch die Jagd von Ovechkin auf die 700er Marke begleitet wurde, so sehr wurde bei dem Zwischenfall mit Bouwmeester aber auch klar wie unwichtig Eishockey in einem solchen Moment werden kann. Die Szenen, die sich in Anaheim abgespielt haben, werden noch lange in den Köpfen bleiben, zum Glück mit einem versöhnlichen Ende Über Ovechkin möchte ich hier eigentlich nicht mehr viele Worte verlieren. Die Leistung ist unglaublich und sicher für lange Zeit unerreichbar, aber das wurde schon aufs ausführlichste beleuchtet.

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Die Story der Saison schrieb für mich David Ayres. Ich möchte mir kaum vorstellen, wie er sich gefühlt haben muss, als ihm gesagt wurde, dass er gleich auf NHL-Eis steht und für das Gastteam das Tor hüten muss. Zwischen Panik und absoluter Freude dürfte sicher alles dabei gewesen sein. Die Leistung ist fantastisch, nach zwei Schüssen und zwei Gegentoren, sich für das Schlussdrittel zu fokussieren, die aufopferungsvolle Verteidigungsarbeit der Hurricanes bemerkenswert und der Platz in den NHL-Annalen absolut gerechtfertigt. Selbst in deutschen Eishockeystadien gab es beim Spiel nach dem Ayres-Sieg kaum ein anders Thema, als den Zamboni fahrenden Goalie aus Toronto, der für die Gäste aus Carolina einsprang.
Christian Treptow:In der NHL gibt es an jedem Spieltag hervorragende Leistungen. Und beinahe in jedem Spiel werden neue Bestleistungen in irgendeiner Form aufgestellt - sei es auf die Liga oder auf die Franchise bezogen. Und Eishockey können die NHL-Cracks ohnehin alle super spielen. Sonst wären sie nicht dort angestellt.
Es sind daher oft diese kleinen Geschichten, die auch abseits des Eises stattfinden können, die den Reiz des Sports ausmachen. Ein Zamboni-Fahrer, der zum Torwart wird und auch noch gewinnt - der Wahnsinn. So etwas gibt's höchstens noch in Hollywood. Das lässt die 700 Tore von Alex Ovechkin - zweifellos eine grandiose Leistung - fast verblassen.
Die gesundheitlichen Probleme von Jay Bouwmeester bieten dagegen einen der seltenen Momente, um innezuhalten und sich bewusst zu werden, dass der Sport, auch wenn es um viel Geld und den wichtigsten Vereinstitel im Eishockey geht, doch unterm Strich nur Nebensache ist.
Es wird diese Momente auch in der Zukunft in der NHL geben. Auf Geschichten, in denen die Gesundheit der Spieler auf dem Spiel steht, auch wie damals bei Alex Kovalev, legt sicherlich keiner Wert, doch nach solchen kleinen Episoden wie mit David Ayres sehnen sich die Fans und auch die Medien. Die NHL hat in dieser Hinsicht bestimmt noch mehr zu bieten. Ich bin gespannt, was da noch auf uns zukommt.
Axel Jeroma: Ein Gänsehautmoment aus den vergangenen Monaten ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Er ereignete sich vor Spiel 5 der Finalserie um den Stanley Cup 2019 zwischen den Boston Bruins und den St. Louis Blues am 6. Juni. Als der Hallensprecher im TD Garden bei der Startaufstellung der Bruins den Namen von Zdeno Chara verkündete, brandete tosender und langanhaltender Beifall im Publikum auf. Das Spotlight fiel auf Bostons Kapitän, der ein riesiges Gitter an seinem Helm trug und vor Schmerzen kaum in der Lage war, die Mundwinkel zu bewegen. In Spiel 4 hatte er nämlich einen Kieferbruch erlitten. Die Finalserie schien für ihn deshalb beendet.

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Doch Chara wollte seinen Traum vom zweiten Titelgewinn mit den Bruins nicht aufgeben. Er entschied sich, nachdem die Ärzte den Bruch mit Platten und Schrauben fixiert hatten, trotzdem aufzulaufen. Dadurch, dass er regungslos dastand und andächtig dem Beifall lauschte, strahlte Chara eine besondere Würde und gleichzeitig Verletzlichkeit aus. Rein gar nichts wirkte in diesem Augenblick an ihm heroisch. Genau so endete die Geschichte auch für ihn. Chara und die Bruins verloren nach sieben umkämpften Spielen und mussten den Blues das Feiern überlassen. Es sind gerade solche speziellen Geschichten über die Unterlegenen, die mich an der NHL faszinieren.
Christian Rupp: Bei Axels Text bekam ich gerade Gänsehaut, denn der Lärm im Garden war so laut wie startender Düsenjet - unfassbar! Es sind gen u solche Geschichten, die für die besondere Würze im Sport sorgen. Das muss nicht einmal immer das ganz große Besteck wie im Fall Chara oder Ayres sein.
Bei meinem Besuch in Vancouver vor zwei Wochen flog während des Spiels ein Puck über das Glas und wurde von einem erwachsenen Mann im Canucks-Trikot gefangen. Für ihn wäre das ein unvergessliche Erinnerung und eine rare Trophäe für das Wohnzimmer-Regal gewesen. Doch der Mann überlegte keine zwei Sekunden und schenkte den original-gespielten NHL-Puck einem kleinen Jungen, der fünf, sechs Plätze von ihm entfernt saß. Die ganze Sektion stand auf und applaudierte, selbst der Ordner kam den ganzen Weg nach unten gerannt, um dem Mann respektvoll die Hand zu schütteln, ob dieser großen Geste. Schnell war in der gesamten Arena Applaus zu hören.
Genau das ist das Schöne am Eishockey: Spieler, Verantwortliche und Fans zählen alle zur sogenannten "Hockey Family". Genau das sorgt dafür, dass derart emotionale und leidenschaftliche Geschichten entstehen und transportiert werden. Egal ob die Helden Chara oder Ayres heißen - oder einfach nur ein anonymer Mann sind, der einem Kind eine Freude gemacht hat.