Ralph Krueger bench

In der Rubrik "Person of Interest" widmet NHL.com/de jeden Dienstag einem Spieler oder einer anderen Persönlichkeit aus der NHL-Familie eine Story abseits des aktuellen Tagesgeschehens.
In dieser Ausgabe: Ralph Krueger (ehemaliger Coach der Edmonton Oilers)

Obwohl sich Ralph Krueger seit drei Jahren als Vorstandsvorsitzender des FC Southampton hauptsächlich um die Belange eines traditionsreichen englischen Fußballklubs kümmert, brennt er nach wie vor für die Sportart, die ihn groß gemacht hat. Deshalb nutzte der frühere Eishockeyprofi und -trainer die Gelegenheit und jettete zur NHL Global Series nach Helsinki, um seine Kontakte zu Vertretern der Liga aufzufrischen. Krueger traf sich in Finnland unter anderem mit Coach Paul Maurice von den Winnipeg Jets, mit dem er seit Jahren eng befreundet ist. Zudem nahm er sich Zeit für ein ausführliches Gespräch mit NHL.com/de. Dabei äußerte sich der 59-jährige Deutsche mit kanadischen Wurzeln zum gewachsenen Einfluss der europäischen Spieler in der NHL, zur Entwicklung von Nico Hischier und Leon Draisaitl sowie zu seinem Job als Trainer von Team Europa beim World Cup of Hockey 2016 und den Wachstumschancen der NHL in Europa.
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Nach Kruegers Einschätzung haben die Europäer in den vergangenen Jahren eine zentrale Rolle in der NHL eingenommen. "Ich habe vor meinem Einsatz beim World Cup eine Studie gemacht. Dabei stellte sich heraus, dass der Anteil der europäischen Spieler unter den Top-6-Stürmern, den Top-4-Verteidigern und den Starttorhütern über 40 Prozent ausmachte. Das zeigt, wie wichtig sie in den Klubs geworden sind", sagte er. Auf den Positionen für die Tiefe oder bei den Special Teams sehe es allerdings anders aus. Dort dominierten nach wie vor die Kanadier und US-Amerikaner.
Für die geringere Präsenz von Europäern in den hinteren Reihen hat Krueger eine Erklärung: "Wenn ein Europäer in dieser Gruppe landet, ist er zu Hause oft besser aufgehoben. Denn was nützt es ihm, wenn er in der NHL siebter Verteidiger oder zwölfter Stürmer mit sieben Minuten Einsatzzeit ist. Dann geht er lieber zurück in sein Heimatland, wo es genügend Optionen für einen Stammplatz gibt."
Als langjährigen Coach der Schweizer Nationalmannschaft freut es Krueger außerordentlich, dass die Eidgenossen aktuell 14 Spieler in der NHL stellen und 2017 mit Hischier erstmals ein Nachwuchsspieler aus der Schweiz als First-Overall-Draftpick gezogen wurde. "Nico hatte eine traumhafte Rookie-Saison bei den New Jersey Devils. Für ihn war es gut, einen extrem ehrgeizigen Spieler wie Taylor Hall als Begleiter an der Seite zu haben", meinte er. Krueger sieht diese Entwicklung als Belohnung für die progressive Nachwuchsarbeit im Schweizer Eishockey.

Mit besonderem Interesse verfolgt Krueger auch den Weg der Edmonton Oilers und von Leon Draisaitl. Zwischen 2010 und 2013 arbeitete er drei Jahre im Trainerstab der Kanadier. In der Saison 2012/13 stand er als verantwortlicher Coach an der Bande. Damit ist Krueger bislang der einzige deutsche Cheftrainer in der NHL. "Im Vergleich zum letzten Jahr haben die Oilers einen Schritt nach vorne gemacht. Ich bin sicher, dass sie sich für die Playoffs qualifizieren", lautet seine Einschätzung über seine ehemalige Mannschaft.
Draisaitl prophezeit er eine große Karriere. "Ich durfte Leon für sechs Wochen coachen und habe gesehen, was für ein unglaubliches Potenzial in ihm steckt. Er hat sich seinen langfristigen Vertrag redlich verdient. Ich bin sicher, dass er den Oilers noch viel Freude machen wird", so Krueger über den 23 Jahre alten Stürmer. Wichtig ist seiner Ansicht nach, dass es Draisaitl gelingt, seine eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln. "Leon besitzt aufgrund seiner Statur, seiner Technik und seinem Spielvermögen spezielle Fähigkeiten, die nur er dem Team geben kann."
Zusammen mit Connor McDavid trage Draisaitl in seinem jungen Alter bereits eine enorme Verantwortung. "In Edmonton erwartet man traditionell sehr schnell sehr viel. Da ist sicher nicht immer einfach, aber da muss man durch", betonte Krueger.

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Zur Stärkung der europäischen NHL-Akteure, die nicht aus Schweden, Finnland, Russland oder Tschechien stammen, hat nach Kruegers Ansicht der World Cup of Hockey 2016 beigetragen. Das Urteil kommt aus berufenem Munde. Der Deutsche führte das Team Europa als Coach zusammen mit Maurice als Co-Trainer bis ins Finale, wo sich die mit Vertretern aus acht Ländern bestückte Auswahl erst nach leidenschaftlichem Kampf Team Kanada in der Best-of-3-Serie mit 0:2 geschlagen musste.
"Es war ein spezielles Turnier, bei dem sich innerhalb unseres Teams ein besonderer Spirit entwickelt hat. Die ganze Gruppe steht heute noch miteinander in Kontakt. Wenn sich Spieler bei einem NHL-Match treffen, gehen sie danach meist noch zusammen weg. Einigen Leuten aus der Mannschaft hat der World Cup einen kräftigen Schub gegeben. Man muss nur Pierre-Edouard Bellemare anschauen, der in der vergangenen Saison mit den Vegas Golden Knights beinahe den Stanley Cup gewonnen hätte", sagte Krueger.
Für andere sei es ein bedeutendes Ereignis gegen Ende der Karriere gewesen. "Ich denke da an Mark Streit oder Christian Ehrhoff. Zdeno Chara hat damals gesagt, dass er sicher nie wieder in einem Endspiel eines internationalen Wettbewerbs stehen wird. Für mich persönlich war der World Cup eine traumhaft schöne Aufgabe, die ich jederzeit wieder übernehmen würde. Ein kurzer Anruf genügt."
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In Europa selbst sieht Krueger noch eine Menge Möglichkeiten für die NHL, um als Marke weiter zu wachsen und wirtschaftliche Erfolge zu erzielen. Events wie die Global Series stuft er als wichtigen Baustein dafür ein. Keinen Sinn mache es dagegen, eine Europa-Division zu platzieren. "Dafür sind die nationalen Ligen zu wichtig. Warum sollten Ankerklubs wie die Eisbären Berlin oder der SC Bern ihr Geschäftsmodell ändern und zu einer NHL-Franchise werden? Ich glaube nicht, dass die Vereine in der Lage wären, die komplizierten Rahmenbedingungen auf Dauer zu stemmen, zumal ohne die lukrativen Derbys", meint Krueger. "Die NHL sollte neben regelmäßigen Gastspielen ihrer Teams lieber verstärkt auf Social-Media-Plattformen setzen, um ihre Popularität zu steigern. Auf diesem Weg kann man viele Fans und Sponsoren hinzugewinnen und sich weitere Einnahmequellen erschließen."