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NHL.com/de beleuchtet jeden Dienstag der regulären Saison 2019/20 aktuelle Trends in der Liga und Storylines. In dieser Ausgabe geht es um die Suche nach dem geeigneten Torhüter-Gespann.

Mit der Qualität des Torhüters steht und fällt auch die Qualität eines Eishockeyteams. Das ist in der NHL nicht anders als im Juniorenbereich. Und deswegen stehen die Goalies auch permanent unter ganz spezieller Beobachtung. Nicht nur beim Gegner oder den Fans. Auch die eigenen Coaches schauen ganz genau hin. In der NHL noch mal etwas genauer. Denn in der besten Eishockeyliga der Welt ist die Belastung für die Torhüter von einem anderen Kaliber.
82 Hauptrundenspiele muss jedes Team pro Saison absolvieren. Manchmal stehen zwei Partien an direkt aufeinanderfolgenden Tagen an. Manchmal sind vier Spiele innerhalb einer Woche auf dem Programm. Klar, dass da ein Goalie alleine nicht die Last auf seinen Schultern tragen kann. Auch wenn wahrscheinlich kein Keeper freiwillig auf einen Start verzichte würde. Es sei denn, er sei verletzt.
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Da sind die Trainer gefragt. Zeitmanagement ist das Zauberwort. Allerdings betrifft es nicht die Zeit, die man im Büro beim Videostudium oder im Kraftraum verbringt. Die Frage ist: Wie viel Einsatzzeit bekommt die Nummer 1? Wann braucht der Startorwart eine Pause? Wann sollte auch mal die Nummer 2 ran, um nicht einzurosten? Und bei 16 Trainern kommt dann noch das Problem dazu, dass sie in den Playoffs eine Nummer 1 brauchen, auf die sie sich verlassen können, die im Rhythmus ist und die in der optimalen Form ist, um der Mannschaft lange ein sicherer Rückhalt zu sein.
Was also tun? Die Standardherangehensweise ist die, dass es eine klare Nummer 1 im Team gibt. Dieser Goalie bekommt, wenn er verletzungsfrei bleibt und die Leistung stimmt, die meisten Einsätze. Zwischen 50 und 60 Partien sind das in der Regel. Pekka Rinne (Nashville Predators) stand zum Beispiel in der vergangenen Saison 56-mal zwischen den Pfosten. Der absolute Vielspieler unter den Torhütern war aber Martin Brodeur (New Jersey Devils, St. Louis Blues). Über 70 Spiele als Starter waren keine Seltenheit für ihn. Der Posten als sein Backup war daher alles andere als erstrebenswert.
Ein Problem stellte das nicht für Brodeur dar. Er ist der Keeper mit den meisten Siegen in der NHL-Geschichte (691), hat viermal die Vezina Trophy als bester Torhüter gewonnen, fünfmal die William Jennings Trophy und dreimal den Stanley Cup. Ihm hat es also scheinbar nichts ausgemacht, quasi im Dauereinsatz zu sein. Seine Leistungen gaben auch nie Anlass zum Zweifel, wer bei den Devils die klare Nummer 1 ist.
Es gibt allerdings auch Torhüter-Tandems, bei denen es keine klare Nummer 1 gibt. Ganz einfach, weil beide Keeper in etwa auf einem Level sind. Das hat natürlich den Vorteil, dass der Coach die Qual der Wahl hat und eigentlich nichts falsch machen kann. Nehmen wir etwa die aktuelle Situation bei den New York Islanders. Barry Trotz kann zwischen Thomas Greiss und Semyon Varlamov wählen. Beide haben das Zeug zur Nummer 1. Beide wollen spielen. Das kann dazu führen, dass sie sich gegenseitig zu besseren Leistungen antreiben. Doch Goalies, die nicht miteinander klarkommen, weil sie dem anderen dessen Einsätze neiden, können auch schnell für schlechte Stimmung im Team sorgen. Auch die Chicago Blackhawks leisten sich in dieser Spielzeit zwei potenzielle Nummer-1-Torhüter mit Corey Crawford und Robin Lehner.
Ja, in Zeiten des Salary Cap ist auch das Gehalt ein nicht zu unterschätzender Faktor. Crawford belastet den Salary Cap der Blackhawks mit sechs Millionen US-Dollar in dieser Saison, Lehner mit fünf Millionen. Elf Millionen Dollar für zwei Torhüter. Manch ein Fan in Chicago wird sich wohl wünschen, General Manager Stan Bowman hätte einen Teil des Geldes für einen torgefährlichen Stürmer oder einen soliden Verteidiger ausgegeben. Lehner und Crawford können nach dieser Spielzeit übrigens Unrestricted Free Agents werden.

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Doch jeden Abend stehen zwei Punkte auf dem Spiel. Zwei Punkte, die am Ende eine Saison entscheiden können. Wem also schenkt der Coach das Vertrauen? Speziell, wenn es immer mehr dem Saisonende entgegen geht, aber die Nummer 1 dringend eine Pause bräuchte. Vielleicht haben vor diesem Hintergrund die Boston Bruins derzeit das ideale Torwart-Gespann. Der Finne Tuukka Rask wird, so sich das Team für die Playoffs qualifiziert und bis dahin nichts Unvorhergesehenes passiert, als Nummer 1 versuchen, die Bruins wieder mindestens ins Finale zu führen. Coach Bruce Cassidy weiß allerdings auch, dass er den zweiten Mann, Jaroslav Halak, bedenkenlos ins kalte Wasser werfen kann. Der Slowake ist quasi so etwas wie der Prototyp des Nummer-2-Torhüters, der in der NHL gefragt ist. Nur selten bekam er in seiner NHL-Karriere die Chance, sein Können als Stammtorwart zu zeigen. Doch seine Dienste waren stets gefragt. Die Bruins sind mittlerweile die fünfte Station in der NHL für den 34-Jährigen. Er bringt also genügend Erfahrung mit. Und Rask profitiert auch davon, dass er entlastet wird.
Von daher ist es womöglich an der Zeit, in der NHL die Sprachregelung einzuführen, die bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft schon lange Usus ist: Es gibt eine Nummer 1A und eine Nummer 1B. Heißt: Es gibt zwei Torhüter, die fast gleich stark sind und von denen man jeden ohne Bedenken jederzeit zwischen die Pfosten stellen kann. Das trifft sowohl auf Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen als auch auf Rask und Halak zu.
Aber am Ende kommen auch Rask und Halak nicht um die ultimative Wahrheit herum, wenn es um Torhüter geht: Nur einer kann zwischen den Pfosten stehen. Der andere muss sich das Spiel von hinter der Bande aus betrachten. Und doch immer bereit sein. Man kann ja nie wissen …