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Der Job eines Trainers ist vielfach deutlich komplizierter als von Außenstehenden zugestanden wird. Es geht um weit mehr als nur um Fitness, Taktik und die Aufstellung. In diesen Punkten könnten sicherlich viele Übungsleiter mit den besten ihrer Zunft mithalten. Doch der echte Spitzentrainer zeigt sich, wie gut er in Sachen Psychologie auf seine Athleten oder sein Team einwirken kann.

Die Verhaltensweisen erscheinen gerne etwas unlogisch, doch bei den wirklich guten Fachleuten funktionieren diese Dinge häufig überraschend gut. Zwei aktuelle Beispiele hierzu gab es in den vergangenen Tagen in der NHL zu bestaunen.
Ein Headcoach, der mit einer solchen Aktion vermehrt in die Schlagzeilen geriet, war Glen Gulutzan von den Calgary Flames. Er stellte sein Team nach dem zweiten Sieg in Serie (!) am Freitag beim Training völlig überraschend auffällig und öffentlich ins 'Achtung', sorgte mit einem selten gesehenen Emotionsausbruch für zahlreiche verdutzte Gesichter, warf als Höhepunkt des Ganzen dann sogar seinen Schläger in hohem Bogen auf die Tribüne.
Seine Mannschaft lag zu diesem Zeitpunkt mit lediglich drei Zählern Rückstand zu einen Playoffplatz auf Rang elf in der Western Conference. Offenbar jedoch aus Sicht des Coaches Grund genug für einen ordentlichen Weckruf.
Nach der Übungseinheit erläuterte er den ebenfalls verdutzten Reportern seine Aktion wie folgt: "Eine solche Aktion führt ein Trainer am besten durch wenn sein Team gewinnt. Es gibt ein Mindestmaß an Konzentration und Anspannung, das wir hier immer brauchen wenn wir erfolgreich sein wollen. Das ist ein Tagesgeschäft. Da darf sich das Team nicht zu behaglich fühlen. Daran wollte ich die Jungs heute ganz einfach einmal wieder erinnern."

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Die Taktik des Coaches scheint tatsächlich aufzugehen. Das jüngste 3:2 nach Verlängerung der Flames gegen die gastgebenden Minnesota Wild war inzwischen bereits ihr vierter Erfolg hintereinander. Noch nie zuvor in dieser Runde war die Serie länger. Bereits am Samstag nach der 'Ansprache' des Coaches vom Freitag waren die Flames ebenfalls mit einem 3:2 gegen die Anaheim Ducks auf heimischem Eis erfolgreich gewesen. Experiment also vorerst geglückt!
Eine klare Nachricht an sein Team schickte jüngst auch Joel Quenneville, der Cheftrainer der Chicago Blackhawks, vor der Begegnung seiner Jungs bei den Ottawa Senators am Dienstagabend. Der 59-Jährige verbannte zur allgemeinen Überraschung Verteidiger Brent Seabrook, seines Zeichens immerhin der am zehntbesten verdienende 'Blueliner' der gesamten Liga, aus seinem Kader. Trotz eines bis zur Saison 2023/24 laufenden Vertrages und aufgrund der Verlängerung im Jahre 2015 fürstlichen Gehaltes von insgesamt 55 Mio. US$.
Nun die Streichung als sogenannter 'Healthy Scratch'. Damit ist jetzt sein Teamkollege Duncan Keith der einzige Verteidiger in den Reihen der Blackhawks, der im Laufe dieser bisher so durchwachsenen Saison noch nicht vom Coach auf die Tribüne verbannt wurde.
"Wir haben schon die ganze Saison über acht Verteidiger im Team. Da können eben nicht immer alle spielen. Manchmal ist es hart, wenn jemand nicht mit dabei sein kann. Er wird sicherlich nicht allzu häufig draußen bleiben müssen. Ich erwarte ihn in Kürze wieder in unseren Reihen", so der offenkundig recht kühl kalkulierende Coach nach dem Morning Skate vor dem Spiel in der kanadischen Hauptstadt.

In diesem Falle wurde die spektakulär anmutende Entscheidung am Ende sportlich ebenfalls belohnt. Mit 8:2 gewann Chicago in Ottawa, machte dabei auf dem Eis mit dem Gegner über weite Phasen der Begegnung was sie wollten.
Auch hier kam der unkonventionelle daherkommende Weckruf des Coaches bei seinen Schützlingen ganz offensichtlich an, gute Leistungen und viel Engagement waren die Folge. Der Sieg für die Hawks war der zweite doppelte Punktgewinn hintereinander, eine Tatsache, die die Titelträger der Jahre 2010, 2013 und 2015 schon seit dem 17. Dezember nicht mehr vorweisen konnten.
Und auch wenn das nächste Spiel der Blackhawks gegen die Minnesota Wild am Mittwoch dann knapp mit 1:2 verloren wurde, war es diesmal ausgerechnet der zuvor verbannte Seabrook, dem der einzige Treffer seines Teams gelang. Der Weckruf des Coaches wirkte also offenkundig auch bei ihm ganz persönlich, wenn auch dieses Spiel letztendlich für das Team nicht erfolgreich endete.
Trotzdem sollte klar sein, dass Maßnahmen wie diese von Gulutzan und Quenneville nicht beliebig oft angewendet werden dürfen, wenn sie sich im Endeffekt nicht abnutzen sollen. Zudem sind sie nicht ohne Risiko. Denn was passiert, wenn nicht ein Erfolg, sondern eine sportliche Pleite folgt? Die Kritik am Übungsleiter würde sehr leicht zunehmen, der Trainer somit am Ende seinen eigenen Job auf das Spiel setzen.
Hierfür jeweils die richtigen Zeitpunkte zu erkennen und die Maßnahmen einzuleiten, die am Ende den bestmöglichen Teamerfolg sicherstellen, dieses Näschen zeichnet einen wahren Meistertrainer aus. Eine Mannschaft trainieren, das können in der Tat inzwischen viele. Aber an Aktionen wie diesen unterscheiden sich die guten von den Top-Trainern. Nicht nur im Eishockey übrigens.