kiessling_030717

Während der Saison 2016-17 wird NHL.com/de in den Archiven stöbern, um eine Sammlung erinnerungswürdiger und historischer Ereignisse in der Geschichte des deutschen, österreichischen und Schweizer Eishockeys zu präsentieren. Debüts und Meilensteine, Verwicklungen und besondere Ergebnisse lassen wir jeden Monat in unserer einjährigen Serie wieder aufleben.
Den meisten Zeitgenossen dürfte das vertraut sein: Da gibt es ein bestimmtes Ereignis im Leben, dem man unendlich lange entgegenfiebert. Wenn es dann stattgefunden hat, kommt man zu dem Entschluss, dass man es kein zweites Mal mitmachen muss. Zumal, wenn die Neuauflage keinerlei Mehrwert zu generieren verspricht. Eine solch spektakuläre Verdichtung des Erlebten hat dazu geführt, dass das erste NHL-Spiel von Udo Kießling am 8. März 1982 zugleich das letzte gewesen ist. So endete die Karriere des ersten Deutschen in der nordamerikanischen Profiliga, bevor sie richtig begonnen hatte.

Das Aufeinandertreffen zwischen den Minnesota North Stars, die Kießling engagiert hatten, und den St. Louis Blues bot beste Unterhaltung. Den Medien gegenüber fasste der Protagonist später einmal seine Erinnerungen an jene Hauptrundenpartie in einem Satz zusammen: "Auf der Strafbank gesessen, an den Pfosten geschossen und durch Zufall einer Massenschlägerei entgangen." In den Statistiken der NHL verbrieft ist zumindest die Zwei-Minuten-Hinausstellung, die sich der Verteidiger gegen die Blues einhandelte.
Die Gäste aus St. Louis waren in der Begegnung hoffnungslos unterlegen. Nur mit Mühe verhinderten sie eine zweistellige Pleite bei den North Stars. Am Ende stand ein 8-1 der Gastgeber auf dem Spielberichtsbogen.
Das Team aus dem "State of Hockey" dominierte vor 34 Jahren die Norris Division und belegte mit 94 Punkten den ersten Platz. In der Campbell Conference reichte die Bilanz (37-23-20) für den zweiten Platz hinter den Edmonton Oilers. Top-Torjäger in Reihen der North Stars war der Kanadier Dino Ciccarelli, der es auf 55 Treffer brachte.
Die Hoffnung auf den Stanley-Cup-Gewinn zerbrach jedoch unerwartet früh. Bereits in der ersten Runde der Playoffs schied Minnesota gegen die Chicago Blackhawks aus, die in der Norris Division lediglich den vierten Platz belegt hatten. All das verfolgte Kießling nur noch aus der Ferne.
Der Verteidiger zählte zu den großen Stars in Deutschland und Europa, als die North Stars seine Dienste in Anspruch nahmen. Mit dem Kölner EC hatte er zu jener Zeit bereits zwei deutsche Meisterschaften gefeiert und mit dem Nationalteam 1976 sensationell die Bronzemedaille gewonnen.
Doch just im Jahr 1982 befand sich bei Kießlings damaligem Klub enorm viel Sand im Getriebe. Die Düsseldorfer EG legte eine lausige Saison hin und zog als Achter gerade noch in die Playoffs ein. Dort war nach zwei Niederlagen gegen den EV Landshut beizeiten Schluss.
Nun galt es für Kießling die sechs Wochen bis zur Weltmeisterschaft in Finnland zu überbrücken. Für einen Eishockeyspieler im Standby-Modus eine halbe Ewigkeit. Da kam der rettende Anruf aus Übersee. General Manager Lou Nanne und Coach Glen Sonmor von den North Stars hatten sich darauf verständigt, dem Deutschen ein wenig Eiszeit in der NHL zu offerieren. Kießling willigte ein, packte postwendend die Koffer, fuhr zum Flughafen, jettete in die Vereinigten Staaten und erfüllte sich den Traum von der NHL.
Was der damals 26-Jährige dort erlebte, war so ganz anders als das, was er von der Bundesliga her kannte. "Alles war riesig - das Station, die Kabine, der Trainerstab. Ich kam mir vor wie im Wunderland", sagte er dem Sport-Informations-Dienst.
Nach jener denkwürdigen Premiere waren die Verantwortlichen der North Stars durchaus gewillt, den Defensivfacharbeiter für längere Zeit einzustellen. Er hätte lediglich sein Autogramm unter den vorbereiteten Arbeitsvertrag ziehen müssen. Doch das Feld mit seiner Unterschrift blieb weiß.
Aufgrund seines Alters habe er sich damals gegen die Fortsetzung seiner Laufbahn in der NHL entschieden und den Entschluss auch nie bereut. Dass er danach noch weitere 14 Jahre in der Bundesliga aktiv sein und zur Eishockey-Legende werden würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen.
Seine Karriere in der obersten deutschen Spielklasse hatte Kießling 1972 mit 17 beim SC Riessersee begonnen. In 24 Bundesligajahren spielte er neben Köln und Garmisch noch beim Augsburger EV, dem EV Rosenheim, der Düsseldorfer EG, dem EV Füssen und dem EV Landshut. Er bestritt 1.020 Spiele und kam dabei auf 881 Punkte. Sechsmal gewann er mit den Kölner Haien den Meistertitel.
Ähnlich erfolgreich verlief seine internationale Karriere. Mit 320 Länderspielen ist er Deutschlands Rekordnationalspieler. Bis 2003 war Kießling damit sogar Weltrekordhalter. Insgesamt kam er bei 13 A- und zwei B-Weltmeisterschaften zum Einsatz. 1987 wurde er ins WM-All Star-Team berufen. Fünfmal nahm Kießling an Olympischen Spielen teil, einmal am Canada-Cup.
Mit 41 Jahren musste er wegen einer schweren Verletzung die Schlittschuhe an den Nagel hängen und den Schläger in die Ecke stellen. Bei einer Partie 1996 für den EV Landshut flog ihm ein Puck ins Gesicht. Dabei gingen mehrere Knochen zu Bruch. Doch der Haudegen erholte sich von den Blessuren.
Gerade dieser Kampfgeist rief bei den Fans stets große Bewunderung hervor. "Er ist kein Mensch, er ist kein Tier, er spielt bei Köln mit der Nummer vier", lautete die ehrfurchtsvoll vorgetragene Weise der Haie-Anhängerschaft. Kießlings Trikot mit der Vier wird übrigens in Köln nicht mehr vergeben. Einen Udo Kießling gibt es eben auch kein zweites Mal.