Talbot-PHI 2-28

Wohl dem, der über eine ganze Saison hinweg auf seine Stammbelegschaft vertrauen kann. Neue Reihen auszuprobieren, gehört dennoch im Eishockeysport zum täglichen Programm.

Jeder Spieler hat seine Stärken und Schwächen. In welcher Kombination kann er Erstgenannte am besten zur Geltung bringen und in welcher fallen seine Defizite nicht so ins Gewicht? Es gilt die Besetzung zu finden, durch die man den größten Ertrag für das Team herausholt. Auch im Sport, nicht nur in der Ökonomie, gilt das Maximalprinzip.
Auf einer Spielerposition, der höchstwahrscheinlich Wichtigsten im Eishockey, gilt jedoch die Prämisse der Konstanz: Ein gut aufgelegter Torhüter kann dir Punkte bescheren, die du ohne ihn nie und nimmer eingefahren hättest. Der richtige Save zur rechten Zeit, kann den Gegner schier zur Verzweiflung bringen und ihn an seinem eigenem Leistungsvermögen zweifeln lassen. Nicht nur das Vereiteln von 'Hundertprozentigen' gehört zum Repertoire eines Ausnahme-Schlussmanns, sondern auch das blinde Verständnis mit seinen Vorderleuten - sowohl im Abwehrverhalten, wie auch beim Spielaufbau.
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Es kommt nicht von ungefähr, dass beim Großteil der NHL-Teams höchstens drei Torhüter im Laufe einer Spielzeit zum Einsatz kommen. Eventuell sind es auch einmal vier, wenn das Verletzungspech unerwartet zugeschlagen hatte oder ein Transfer eingeläutet worden war.
Die vier Divisionsersten in dieser Saison verfügen über ein Torhüter-Gespann, auf das sie sich verlassen können. Bei den Tampa Bay Lightning bestritten Andrei Vasilevskiy und Louis Domingue 64 von 65 Partien, bei den New York Islanders standen entweder Robin Lehner oder Thomas Greiss stets von Beginn an im Tor, bei den Calgary Flames teilten sich David Rittich und Mike Smith die Aufgaben und bei den Winnipeg Jets waren es Connor Helleybuck und Laurent Brossoit.
Was in der 101-jährigen NHL-Historie noch nie vorkam, dass ein Klub innerhalb einer Saison acht Goalies einsetzte. Mit Mike McKenna, der am 8. Januar 2019 bei der Auswärtspartie der Philadelphia Flyers gegen die Washington Capitals von Beginn an im Kasten stand, dachte man alle guten Dinge bei den Flyers sind Sieben, und damit ist nun auch genug.

McKenna

Doch weit gefehlt. Der 35-jährige Torwart, der in zehn Jahren seit 2008/09 für sieben verschiedene Teams 35 NHL-Partien bestritt, kassierte vier Gegentore bei der 3:5-Niederlage in Washington, und beendete die Partie mit einer Fangquote von 83,3 Prozent sowie einem Gegentrefferschnitt von 4,22. Das war von ihm keine Empfehlung für weitere Bewährungsproben.
Der Höchstwert, den die Quebec Nordiques in der Saison 1989/90 mit sieben Torhütern aufgestellt hatten, war erreicht und wird vermutlich auch nicht getoppt werden, konnte man denken.
Doch Mitte Februar schlugen die Flyers noch einmal auf dem Transfermarkt zu und holten Cam Talbot von den Edmonton Oilers im Tausch gegen Anthony Stolarz (12 Spiele, 4-3-3, 90,2 Prozent, 3,33 GAA), den sie Anfang Oktober zunächst auf die Waiverlist gesetzt und dann zu den Lehigh Valley Phantoms ins AHL-Farmteam geschickt hatten.
Talbot gab am Freitag im Prudential Center von Newark bei 6:3-Sieg über die New Jersey Devils sein Debüt für die Orange-Schwarzen und wurde damit Flyers achter Torwart im Bunde.

Cam-Talbot 2-28

Wie war so etwas möglich geworden? Mit Brian Elliott (19 Spiele, 8-7-1, 91,7 Prozent, 2,58 GAA) als Nummer 1 und Michal Neuvirth (7 Spiele, 1-4-1, 85,9 Prozent, 4,27 GAA) als Backup sahen sich die Flyers zu Saisonbeginn auf der Torhüterposition solide aufgestellt, doch Neuvirth laborierte an Leistenproblemen, Calvin Pickard (11 Spiele, 4-2-2, 86,3 Prozent, 4,01 GAA) wurde seiner statt von der Waiverlist geholt. Schließlich verletzte sich auch noch Elliott schwer und war für über drei Monate außer Gefecht gesetzt. Alex Lyon (0-1-0, 80,6 Prozent, 5,08 GAA) durfte sich zweimal versuchen und Rookie Carter Hart (22 Spiele, 13-8-1, 91,7 Prozent, 2,79 GAA) nutzte durchaus die Chance sich zu bewehren.
Im Endspurt um einen Platz für die Stanley Cup Playoffs könnte es den Flyers nun dienlich sein, auf die Dienste von zwei erfahrenen Torhütern zurückgreifen zu können und der Statistik ein Schnippchen zu schlagen, denn im vergangenen Jahrzehnt gab es mit den Chicago Blackhawks (2017/18), den Carolina Hurricanes (2016/17), den Montreal Canadiens (2015/16), den Edmonton Oilers (2014/15) und den New York Islanders (2011/12, 2010/11) fünf Teams, die mindestens fünf Torhüter einsetzten, doch keines qualifizierte sich in der jeweiligen Saison für die Playoffs.